Seit Christopher Nolans INTERSTELLAR scheinen philosophische Sci-Fi-Filme wieder in Mode zu kommen. Die Zeit für Filme, in denen Aliens in spektakulären Bildern die Erde in Schutt und Asche legen, scheint dafür langsam passé zu sein, was nicht nur Roland Emmerich in diesem Jahr mit seinem INDEPENDENCE DAY: WIEDERKEHR am eigenen Leib erfahren musste. Auch Filme wie WORLD INVASION: BATTLE LOS ANGELES konnten in den letzten Jahren an den Kinokassen nicht mehr überzeugen.
ARRIVAL ist kein Invasionsfilm, auch wenn die Trailer das teilweise suggerieren. Der kanadische Regisseur Denis Villeneuve hat sich in den letzten Jahren einen Namen als Mann für Filme mit Tiefgang gemacht. In seinen Filmen sind die Figuren innerlich oft gespalten, Recht und Unrecht vermischen sich und die Antworten sind nicht immer befreiend. So wurde PRISONERS 2013 ein beklemmender Thriller über einen Vater, der seine verschwundene Tochter sucht und dafür auch Recht und Moral über Bord wirft. In SICARIO von 2015 muss eine Drogenfahnderin am eigenen Leib erfahren, dass es Gerechtigkeit ohne Unrecht nicht gibt.
ARRIVAL beginnt mit Linguistin Dr. Louise Banks, die Bilder ihrer Tochter an ihrem inneren Auge vorbeiziehen sieht. Wir werden Zeuge, wie die junge Frau heranwächst, nur um dann an einer seltenen Form von Krebs zu sterben. Während Louise an der Universität unterrichtet, treffen Meldungen aus der ganzen Welt ein. Außerirdische Raumschiffe sind rund um den Planeten aufgetaucht, insgesamt 12 an der Zahl. Sie schweben einige Meter über dem Boden und werden wegen ihrer Form „Muscheln“ genannt. Louise und der Physiker Ian Donnelly werden von US-Colonel Weber beauftragt, mit den Aliens zu kommunizieren, um herauszufinden, warum sie hier sind. Wissenschaftler auf der ganzen Welt machen sich in den Ländern, in denen die weiteren Schiffe gelandet sind, ebenfalls daran, eine Kommunikation herzustellen.
Louise und Ian kommen schnell dahinter, dass die beiden Aliens in ihrem Schiff, die sie scherzhaft Abbott und Costello genannt haben, eine Sprache benutzen, die nicht linear ist. Die kreisförmigen Gebilde, die die Aliens schreiben, sind komplexe Sätze, die so nur möglich sind, wenn die Außerirdischen ein nicht-lineares Verständnis von Zeit besitzen. Louise erwähnt gegenüber Ian, dass sich das Gehirn, das Denken eines Menschen verändert, wenn er eine neue Sprache lernt. Und genau das passiert nun auch mit Louise.
Während die Kommunikation zwischen Louise und den Aliens immer intensiver wird, hat sie Visionen ihrer Tochter. Auf seltsame Weise scheinen sich bestimmte Dinge, an die sie sich mit ihrer Tochter erinnert, in den aktuellen Ereignissen wiederzuspiegeln. Als Louise dann ein Symbol der Aliens mit „Waffe anbieten“ übersetzt, überschlagen sich die Ereignisse. Chinesische Wissenschaftler haben zur gleichen Zeit das Symbol mit „Waffe benutzen“ übersetzt und das Land rüstet nun auf, um auf einen kriegerischen Konflikt mit den Aliens vorbereitet zu sein. Während bisher alle Ländern, bei denen Schiffe gelandet sind, zusammengearbeitet haben, klinken sich nun mehr und mehr Länder aus, die eine Allianz gegen die Besucher bilden wollen, um die Menschheit zu beschützen. Im Wettlauf mit der Zeit versucht Louise den Grund herauszufinden, warum die Besucher hier sind.
Die folgenden Absätze enthalten Spoiler und sind deshalb kursiv geschrieben. Weiter unten geht es dann mit den Spoiler-freien Absätzen weiter.
Es stellt sich heraus, dass die Erinnerungen von Louise an ihre Tochter sozusagen Erinnerungen an die Zukunft sind. Während die Raumschiffe auf der Erde landen, hat Louise noch gar keine Tochter. Die „Waffe“, die die Aliens den Menschen anbieten wollen, ist ihre Sprache, denn mit dieser universalen Sprache werden sich die Länder auf der ganzen Welt vereinen. Das Erlernen der Sprache der Aliens führt dazu, dass auch die Menschen die Fähigkeit erwerben, die Zeit nicht mehr linear zu erleben. Sie haben Visionen von der Zukunft, die sein könnte. Der Zweck dieses Geschenks ist für die Aliens überlebenswichtig, da sie in 3000 Jahren die Hilfe der Menschen brauchen werden. Von daher ist die Bezeichnung „Muschel“ für die Raumschiffe auch recht passend, da sich unter der Schale eine Perle verbirgt, das Geschenk der Aliens sozusagen.
Mit dieser Gabe gelingt es Louise dann auch, den chinesischen General Shang davon zu überzeugen, den Erstschlag gegen die Aliens nicht durchzuführen. Auch hier sieht sie Visionen der Zukunft, in der sie General Shang bei einem Ball begegnet, der ihr dort die Worte sagt, die sie in der Gegenwart ihm am Telefon sagen wird, von denen sie bisher aber nichts wusste. Sie erinnert sich also soszusagen an die Zukunft, um zu wissen, was sie in der Gegenwart machen muss.
Nachdem ein weltweiter Krieg verhindert wurde und die Länder wieder miteinander kommunizieren, verschwinden die Raumschiffe. Louise sieht in einer Vision, dass Ian der Vater ihrer Tochter sein wird. Er wird sie auch verlassen, nachdem sie ihm gesagt hat, dass ihre Tochter sterben wird. Ian macht Louise für den Tod der Tochter verantwortlich, da sie die Zukunft hätte ändern können, indem sie keine Tochter bekommt und dieser so das Leiden und den Tod in jungen Jahren erspart. Aber Louise entscheidet sich aus Liebe dafür, die Zukunft ihrer Tochter in Kauf zu nehmen, um die schönen Jahre und Augenblicke mit ihr zu erleben.
Der Film basiert auf der Kurzgeschichte STORY OF YOUR LIFE von Ted Chiang, die von Eric Heisserer in ein Drehbuch verwandelt wurde. Der Film dichtet zwar noch ein paar Dinge hinzu, folgt aber ansonsten im Kern der Kurzgeschichte. Denis Villeneuve wollte schon lange einen Sci-Fi-Film machen, aber er fand einfach nicht das richtige Projekt. Autor Eric Heisserer wiederrum hatte die Hoffnung schon aufgegeben, sein Drehbuch jemals an den Mann bringen zu können. Als beide sich trafen, war das aber Vergangenheit, Villeneuve war vom Projekt begeistert. Und auch sein nächster Film wird im Sci-Fi-Genre zuhause sein. Villeneuve dreht gerade die Fortsetzung zu BLADE RUNNER von 1982, wieder mit Harrison Ford in der Hauptrolle und mit dem damaligen Regisseur Ridley Scott als Produzenten, Titel BLADE RUNNER 2049.
Für die Musik engagierte Villeneuve wieder den Isländer Jóhann Jóhannsson, mit dem er bereits bei PRISONERS und SICARIO zusammengearbeitet hat. Während PRISONERS ein fast schon kammermusikartiger Score ist, wurde SICARIO vorangetrieben durch pulsierende Ambient-Klangflächen. Und auch für ARRIVAL bewegte sich Jóhannsson wieder im Klangcollagen-Gefilde. Da Sprache eine große Rolle im Film spielt, experimentierte der Komponist mit Stimmen und Klavier-Loops, zu Hören im Track „Heptapod B“:
Er schrieb die Musik, während der Film noch gedreht wurde und ließ sich alleine vom Drehbuch und den Konzeptzeichnungen inspirieren. Dabei unterläuft die Musik eine Entwicklung, wie die zwischen Louise und den Besuchern. Während beim ersten Betreten noch fremdartige und düstere Klänge die Wissenschaftler begleiten, wird die Musik melodischer, je besser sich die beiden Lager verstehen.
Die musikalische Klammer um den Film bildet das Stück „On the Nature of Daylight“ von Max Richter. Es taucht am Anfang und am Ende auf, den beiden Momenten, in denen sich Louise völlig darüber im Klaren ist, was vor sich geht. Es ist ein harmonisches, melancholisches Stück und sticht damit gewollt aus den Klangexperimenten des restlichen Scores heraus.
Dramaturgisch ist das musikalische Konzept also durchaus durchdacht. Diese anfangs kühle Distanz, die sich im Laufe des Filmes mehr und mehr wandelt und von der Klammer am Anfang und am Ende umschlossen wird, hat dem Film genau das gegeben, was er gebraucht hat. In einem kleinen Making-of sieht man, wie die Musik enstanden ist.
Die Musik wurde beim Label Deutsche Grammophon veröffentlicht und ist als CD, als Download und bald auch als Doppel-Vinyl erhältlich.
Villeneuve gelingt es nicht nur, spektakuläre Bilder zu erschaffen. Er stellt kluge Fragen, die meist auch kluge Antworten bekommen. Wer allerdings einen Actionfilm erwartet, ist bei ARRIVAL an der falschen Adresse. Der Film ist eher ein Sci-Fi-Drama mit Thriller-Elementen, der aufzeigt, dass es immer besser ist miteinander zu arbeiten, statt gegeneinander. Die Hauptrollen sind mit Amy Adams, Jeremy Renner und Forest Whitaker gut besetzt. Besonders Amy Adams trägt mit ihrem Spiel fast den ganzen Film auf ihren Schultern. ARRIVAL fordert den Zuschauer zum Nachdenken und Reflektieren auf. Parallelen zu Filmen wie CONTACT sind zwar durchaus vorhanden, aber ARRIVAL wirkt nie zusammengeklaut oder nur Vorbilder abarbeitend. Dennoch beschleicht den Zuschauer aber am Ende das Gefühl, alles schon einmal irgendwie gesehen zu haben. Für mich tat das der Unterhaltung aber keinen Abbruch. Wer also ein philosophisches Kino-Erlebnis haben möchte, ist mit ARRIVAL sehr gut bedient.