Haunting & Heartbreaking: Von geheimnisvollen Riesen und bösen Engeln – Die Filmmusik von Angelo Badalamenti

Quelle: rustblade.com

Es gibt Künstler, deren Werk so eng mit dem eines anderen Künstlers verbunden ist, dass es fast unmöglich scheint, sich die Werke des einen ohne das Werk des anderen vorzustellen. In der Filmmusik gibt es dafür viele Beispiele, wie die Zusammenarbeit von Steven Spielberg und John Williams oder die von Tim Burton und Danny Elfman. In beiden Fällen sind die Künstler miteinander groß geworden und haben so das Werk des jeweils anderen für immer geprägt. Das trifft auch auf Angelo Badalamenti und David Lynch zu.

Angelo Daniel Badalamenti wurde 1937 in Brooklyn, New York geboren. Mit acht Jahren nahm er die ersten Klavierstunden und schrieb als Teenager bereits erste Musikstücke für seine High School. Nach seinem Abschluss studierte er zuerst an der Universität von Rochester, wechselte nach zwei Jahren aber auf die Manhattan School of Music, die er 1959 mit einem Master abschloss. In den 1960er Jahren arbeitete er als Arrangeur und Co-Komponist unter anderem für Shirley Bassey und Nina Simone, nutze aber noch das Pseudonym Andy Badale. Im Verlauf der 1970er Jahre schrieb Angelo dann seine ersten Filmscores, für Filme wie Gordon’s War (1973) und Law and Disorder (1974).

Doch sein Durchbruch sollte noch bis ins Jahr 1986 auf sich warten lassen. Angelo wurde als Music Supervisor für David Lynchs Film Blue Velvet engagiert. In dieser Funktion gab er unter anderem der Hauptdarstellerin Isabella Rossellini Gesangsunterricht, da sie im Film eine Nachtclub-Sängerin spielt. Lynch wollte für eine Tanzszene eigentlich das Stück Song to the Siren von This Mortal Coil benutzen. Aber die Kosten für die Lizensierung waren dem Produzenten Dino de Laurentis zu hoch. Also wandte sich Lynch an Badalamenti und bat ihn, einen entsprechenden Song zu komponieren. Dafür hatte Lynch bereits eine Art Gedicht als Text auf ein Blatt Papier geschrieben. Angelo wusste zuerst nicht so recht, was er damit anfangen sollte, da Lynchs Poesie keine Reime oder eine erkennbare Metrik hatte. Angelo fragte Lynch dann, wie der Song klingen sollte, worauf er die Antwort bekam „Oh, lass es sein wie den Wind, Angelo. Es sollte ein Song sein, der über die See der Zeit schwimmt. Mach ihn kosmisch!“.

Quelle: theguardian.com

 Als Musik und Text fertig waren, fragte Lynch Badalamenti noch „Kennst du jemanden, der wie ein Engel singen kann?“. Und zufälligerweise hatte Badalamenti kurz zuvor mit der Sängerin Julee Cruise gearbeitet. Diese wurde allerdings kontaktiert, weil sie andere Sängerinnen kannte und vorschlagen konnte. Nach mehreren erfolglosen Versuchen mit anderen Sängerinnen entschied sich Cruise, selbst zu singen. Das Ergebnis war dann der Song Mysteries of Love, dessen Melodie dann auch instrumental im Score auftauchte. Denn Lynch war von der Zusammenarbeit so begeistert, dass er Badalamenti bat, den Score auch gleich zu schreiben. Lynch hatte bereits einige Songs ausgesucht, die er im Film unterbringen wollte und liebäugelte vielleicht auch mit der Idee, ganz auf einen Score zu verzichten, da er neben den Songs noch die Sinfonie Nr. 15 von Dimitri Schostakowitsch im Ohr hatte, die er regelmäßig während des Drehbuchschreibens hörte und auch am Set über Lautsprecher laufen ließ.

So war dann auch seine Anweisung an Badalamenti für den Score, er solle sein „wie Schostakowitsch, sei sehr ‚russisch‘, aber gleichzeitig soll es die wundervollste Musik überhaupt sein, aber auch düster und etwas unheimlich.“ Angelo tat sein Bestes, um diesen Vorgaben zu entsprechen und das war der Startpunkt einer fast vier Jahrzehnte andauernden Zusammenarbeit. Badalamenti taucht im Film als Pianist im Nachtclub auch kurz auf. Angelos Musik für Blue Velvet ist dann tatsächlich auch sehr russisch, hat aber schon die ersten Zutaten dieser schwebenden Traumklänge, die später zu einem Markenzeichen von Lynchs Filmen werden sollten. Der Score wurde in einigen Kritiken zum Film auch positiv hervorgehoben und so wurde Angelo danach für ähnliche Projekte engagiert. Seinen Score für Tough Guys Don’t Dance (1987) beispielsweise kann man durchaus als Weiterentwicklung von Blue Velvet sehen. Aber auch Filme wie Nightmare on Elm-Street 3 (1987) und National Lampoon’s Christmas Vacation (1990) standen auf Angelos Liste.

Auch wenn es bis zum nächsten konkreten Projekt von Lynch noch etwas dauerte, blieben er und Badalamenti nach Blue Velvet in Kontakt. Immer wieder trafen sie sich, um gemeinsam an neuer Musik zu arbeiten. So entstanden auch einige Songs, für die Lynch die Texte schrieb und die Julee Cruise dann einsang. Diese Songs erschienen dann als Album Floating Into The Night im Jahre 1989. Während dieser Zeit sprach Lynch natürlich auch immer wieder über diese Idee für eine Fernsehserie, die er hatte. Und als Twin Peaks dann 1989 in Produktion ging, wurde nicht nur der Song Falling aus dem Album von Julee Cruise in seiner instrumentalen Version zur Titelmusik der Serie, sondern Cruise selbst taucht in der Serie immer wieder als Sängerin im Roadhouse auf und singt dort Songs aus ihrem Album. Darunter ist auch eine Schlüsselszene, als enthüllt wird, wessen Körper der Killer Bob für seine Taten für sich eingenommen hat und Agent Cooper während eines Auftritts von Julee Cruise im Roadhouse der „Riese“ erscheint. Dieser spricht die legendären Worte „It is happening again“, während Julee Cruise The World Spins singt. Diesen Titel sang sie dann auch über 25 Jahre später wieder, am Ende der vorletzten Folge von Twin Peaks: The Return (2017).

Für die Serie Twin Peaks komponierte Angelo natürlich auch wieder den Score. Einige der Themen, die er dort verwendete, gab es bereits als Song oder wurden später zu Songs, die Julee Cruise sang. Das passierte dann auch wieder im Kinofilm Twin Peaks: Fire Walk With Me (1992), bei dem beispielsweise das düster-jazzige Titelstück als Song She Would Die For Love auf dem zweiten Album von Julee Cruise The Voice of Love (1993) erschien. Und auch den Titeltrack des Albums gab es bereits als Instrumentalversion im Kinofilm am Ende zu hören, als Laura Palmer den Engel sieht.

Die Musik zu Twin Peaks stellte den kommerziellen Höhepunkt in Angelos Karriere dar. Das Soundtrack-Album erhielt Goldene Schallplatten auf der ganzen Welt, in Spanien und Australien sogar Platin und die Musik wurde auch bei den Emmys 1990 nominiert. Darüber erzählte Badalamenti einmal eine nette Anekdote. Er war zu den Emmys angereist, David Lynch war auch da, beide saßen an einem Tisch und als die Musik-Kategorie an der Reihe war, begann Lynch, die Stühle beiseite zu rücken und meinte „Macht Platz, macht Platz, Angelo wird gleich nach oben gerufen!“. Aber leider gewann er den Emmy dann doch nicht. Dafür gab es dann den Grammy im gleichen Jahr.

Überhaupt zeigte sich Angelo in Interviews immer wieder als mitreißender Geschichtenerzähler. Beinahe schon legendär ist ein Clip aus dem Bonusmaterial der Twin Peaks Gold Box, in dem Angelo in seinem Studio an dem alten Fender Rhodes Keyboard sitzt, auf dem er die Musik zu Twin Peaks komponierte. Er beginnt zu erzählen, dass David damals neben ihm saß und mit Worten eine Szenerie beschrieb, in der nachts in einem dunklen Wald ein junges Mädchen hinter einem der riesigen Bäume hervortrat. Das war Laura Palmer und Angelo spielte die Musik dazu, während Lynch die Szene weiter ausschmückte. Während er das alles erzählt, begleitet sich Angelo selbst am Keyboard und wird selber mitgerissen von den Emotionen, die damals bei der Entstehung der Musik im Raum schwebten. „Die Noten sind einfach rausgekommen. David war fassungslos, genau wie ich. Die Haare auf seinen Armen standen auf und er hatte Tränen in den Augen: ‚Ich sehe Twin Peaks.‘ Ich sagte: ‚Ich gehe nach Hause und arbeite daran.‘ ‚Daran arbeiten? Ändere keine Note.‘ Und natürlich habe ich das nie getan. David hat ein erstaunliches Gehör für Musik. Er hört alles, auch die inneren Stimmen.“

„Als wir anfingen zusammenzuarbeiten, hatten wir sofort eine Art Beziehung – ich hatte keine Ahnung von Musik, interessierte mich aber sehr für Stimmungen und Soundeffekte. Ich habe bei der Arbeit mit Angelo erkannt, wie nah diese Dinge beieinander liegen.“ sagte Lynch einmal.

Im Zeitraum der Jahre 1989 und 1990 entstanden auch die Scores zu den Filmen Cousins und The Comfort Of Strangers. Letzterer wurde von Badalamenti einst als sein persönlicher Lieblingsscore genannt. Vielleicht auch, weil er wegen des Settings in Venedig seine italienischen Wurzeln musikalisch zum Tragen bringen konnte. Das Main Theme hat dann auch etwas von einer italienischen Opern-Overtüre. Ganz anders als die Musik zu Cousins, die für eine kleinere Besetzung geschrieben wurde und bei der ein Walzertakt das Hauptthema bestimmt.

Mit der Serie und dem Kinofilm zu Twin Peaks hatten Badalamenti und Lynch auch ihren Stil gefunden. Die Mischung aus schwebenden Klanglandschaften mit Badalamentis melancholischen Themen und dazu seine Jazz-Einflüsse und Lynchs Vorliebe für den Blues der 1950er Jahre, erzeugte diese einzigartige Atmosphäre. Und beide arbeiteten auch weiterhin an neuer Musik, selbst, wenn kein neuer Film anstand. Oftmals hatte Lynch auch Ideen für eine Szene oder eine Situation, die durch einen Song ausgelöst wurde. Somit war der Song dann praktisch schon da, bevor es überhaupt einen Film dazu gab. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit waren dann die Stücke, die Lynch und Badalamenti als Thought Gang veröffentlichten. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre enstanden so mehrere Stücke, die eher experimenteller Natur waren, eine Mischung aus Freestyle Jazz, Fusion und Avantgarde. Zwei dieser Stücke sind im Twin-Peaks-Kinofilm zu hören und befinden sich auch auf dem Soundtrack-Album, A Real Indication und The Black Dog Runs At Night. Bei beiden Stücken spricht Angelo den Text von Lynch über die Musik. Ein komplettes Album mit allen Stücken der Thought Gang, die zwischen 1991 und 1993 enstanden sind, erschien dann erst 2018.

„Meine (musikalische) Welt ist ein bisschen dunkel … ein bisschen verschroben. Ich halte sie für tragisch schön. So würde ich beschreiben, was ich am meisten liebe: tragisch schön.“ beschrieb Badalamenti einmal seine Musik.

Trotz des Erfolgs von Twin Peaks blieb Badalamenti eher bei kleineren Filmen und Projekten. Vielleicht war seine Musik auch nicht zugänglich genug, als dass es ihm viele Angebote für große Hollywood-Filme beschert haben könnte. Denn natürlich wurde er nach Twin Peaks auch oft für Projekte engagiert, bei denen genau dieser Sound gefragt war und Angelo auch keine Möglichkeiten bekam, musikalisch etwas anderes zu machen. Noch während Twin Peaks produziert wurde, verließ Lynch kurzzeitig die Serie, weil ihm die Richtung nicht gefiel, die die Serie auf Druck des Senders ABC eingeschlagen hatte. In der Zeit entstand dann auch Lynchs Film Wild At Heart, dessen Soundtrack ebenfalls wieder ein Konglomerat aus Popsongs und klassischen Stücken war, während Badalamenti nur vereinzelt Stücke beisteuerte, wie das wunderschöne Dark Lolita.

Doch natürlich komponierte Badalamenti auch für andere Filmemacher. Einer davon war Jean-Pierre Jeunet, mit dem er zum ersten Mal 1995 bei City Of Lost Children zusammenarbeitete. Im Gegensatz zu Lynchs Filmen, für die Angelo bis dato oftmals mit Keyboards und Synthesizern gearbeitet hatte, bekam City Of Lost Children einen ähnlich traumwandlerischen Score, der allerdings mit einem vollen Orchester eingespielt wurde. Die Titelmelodie des Films wurde ebenfalls zu einem Song verarbeitet, Who Will Take My Dreams Away?, welcher von Marianne Faithfull gesungen und getextet wurde. Aus dieser Zusammenarbeit für den Film entstand danach wieder ein komplettes Album, welches Angelo für Marianne Faithfull komponierte, arrangierte und produzierte, A Secret Life (1995).

1996 arbeitete Angelo dann mit dem Sänger Tim Booth zusammen und es entstand das Album Booth And The Bad Angel, auf dessen Cover Angelo auch zu sehen ist. Der Titel des Albums ist natürlich ein Wortspiel aus Angelos Vor- und Nachnamen, der mit dem Bad seines Nachnamens zum bösen Engel wird. Die Songs schwanken zwischen rockigeren Nummern, die eher Tim Booth und seiner Band James zugeordnet werden können und melancholischen Balladen wie Fall In Love With Me, die unverkennbar Badalamentis Handschrift tragen.

Mit Lost Highway war 1997 wieder ein neuer Film von David Lynch am Start. Auch hier dominierten wieder einige Songs bestimmte Szenen des Films, der Score war aber dennoch präsenter als beispielsweise in Wild At Heart. Es kam sogar ein Orchester zum Einsatz, welches Lynch und Badalamenti in manchen Stücken eher verfremdet einsetzten. So hatte Lynch beispielsweise die Idee, über die Mikrofone Plastikrohre zu stülpen und das Orchester dann so aufzunehmen, was einen ganz sonderbaren Klang erzeugte. Die düstere Stimmung des Films wird durch Tracks wie Haunting & Heartbreaking und Fred And Renee Make Love noch verstärkt, aber auch dem Freestyle Jazz kann Badalamenti in Red Bats With Teeth wieder frönen. Und Fred’s World präsentiert dann den schwebend-melancholischen Badalamenti. Es entstand sogar ein weiterer Song mit Lynchs Text, die Ballade And Still, welche von der schottischen Sängerin Jocelyn Montgomery gesungen wurde. Doch letztendlich wurde der Song für den Film nicht verwendet und erst viele Jahre später von Lynch online veröffentlicht.

Bereits zwei Jahre später stand schon der nächste Lynch-Film an. Mit The Straight Story verfilmte Lynch die wahre Geschichte des 73-jährigen Alvin Straight, der wochenlang auf einem Aufsitzrasenmäher quer durch die USA fuhr, um seinen Bruder noch einmal zu sehen. Es ist, wie der Titel es auch doppelbödig andeutet, Lynchs geradlinigster Film und Badalamenti schrieb dafür auch seinen ungewöhnlichsten Lynch-Score. Abseits der düster-brodelnden Klänge, die Lynchs (Alp)Träume sonst begleiten, untermalt Angelo Alvins Reise mit gefühlvollen und etwas wehmütigen Folk-Klängen. Ein kleiner Fingerzeig in Richtung des Lynch-Sounds ist der Track Nostalgia, der allerdings im Film so nicht vorkommt. Hier hören wir wieder die sphärische Melancholie, die allerdings durch das Knacken einer alten Schallplatte und dem allgemein dumpferen Monoklang tatsächlich an eine längst vergangene Zeit denken lässt.

Aber auch der Rest des Jahres 1999 war für Angelo gut gefüllt. Er vertonte den Thriller Arlington Road für Regisseur Mark Pellington (The Mothman Prophecies, 2002) und arbeitete hier mit dem Komponistenduo Tomandandy zusammen. Diese nutzen ihr sogenanntes Evolution System, mit dem sie Klänge erzeugen und verfremden konnten. Des Weiteren schrieb Angelo die Musik für den Film Holy Smoke. Dieser Score fiel wieder in die Kategorie „mysteriöse Melancholie“, bot aber mit Maya Mayi Ma das wohl ungewöhnlichste Stück Badalamentis. Ganz im Stile der damals noch rollenden Ethno-Welle klingt der Track dann auch wie etwas, was man eher von Adiemus erwarten würde.

Das Jahr 2000 hielt dann einen großen Studiofilm für Angelo parat. The Beach mit Leonardo Di Caprio lief in den Kinos weltweit recht erfolgreich und bescherte Angelo eine weitere musikalische Zusammenarbeit. Dieses Mal mit den Elektro-Pionieren Orbital, die sein musikalisches Hauptthema für den Soundtrack als Dance-Track bearbeiteten. Auch dieser Score zeigt wieder einen etwas anderen Angelo, dessen musikalische Handschrift zwar in den Themen erkennbar ist, aber die Arrangements sind doch für Badalamenti-Verhältnisse recht neu. So erklingt das Hauptthema zu Beginn als schwelgerische Orchesterversion mit Chor und erinnert so eher an etwas von John Barry, während das Thema dann im Track Starnight mit Gitarrenbegleitung die Unbeschwertheit der jugendlichen Protagonisten in sich trägt.

Einst als Spin-off-Serie von Twin Peaks geplant, erschien der zum Film gewordene Mulholland Drive von David Lynch im Jahre 2001. Das musikalische Hauptthema entstand wohl schon um die Zeit von Lost Highway herum. Der Thriller, der mit seinem Wechselspiel, was Traum, Illusion und was Realität ist, auch ein cleveres Statement über Hollywood und die Filmbranche an sich ist, wird musikalisch wieder von einigen Songs begleitet. Lynch und Badalamenti arbeiteten hier hauptsächlich an düsteren Klangcollagen zusammen, wie dem Track Dwarfland. Aber auch Tracks, die man von Angelo in einem Lynch-Film erwarten würde, sind hier zu hören, wie das wundervolle Thema für Betty. Angelo spielt in dem Film sogar eine kleine Rolle und ist an der Seite von Dan Hedaya als einer der Castigliane-Brüder zu sehen.

In den folgenden Jahren vertonte Angelo wieder kleinere Filme, wie die französischen Cet Amour-Là (2001) und L’Adversaire (2002), für die er dem sphärischen Lynch-Stil treu blieb. Aber auch die Satire Secretary (2002) fiel in diese Zeit und er steuerte zwei Tracks für Eli Roths Regiedebüt Cabin Fever (2003) bei. Das kam deshalb zustande, da Roth Jahre zuvor für Lynch als Assistent gearbeitet und Angelo das Versprechen abgerungen hatte, auch für einen seiner Filme einmal Musik zu schreiben, wenn er einen machen würde.

Ein Jahr später arbeitete Angelo wieder mit Jean-Pierre Jeunet zusammen und vertonte dessen Liebesdrama A Very Long Engagement mit einem schwelgerischen Orchesterscore. Im gleichen Jahr enstand auch die Musik zum Thriller Evilenko. Ein Film über einen russischen Serienmörder, für den Angelo erneut eine musikalische Zusammenarbeit zu Teil wurde. Dieses Mal mit der Sängerin der irischen Band The Cranberries, Dolores O‘ Riordan. Diese ist nicht nur mit ihrem geisterhaften Hauchgesang im Score zu hören, sondern textete und sang den auf Badalamentis Thema basierenden Titel Angels Go To Heaven. Und auch diese Zusammenarbeit verlief beiderseits so gut, dass man weiter zusammen Musik machen wollte. Es entstand allerdings nur noch ein weiterer Titel, der wenig später veröffentlicht wurde, The Butterfly.

Mit Dark Water (2005) und The Wicker Man (2006) blieb Angelo dem Thriller-Genre treu. Für das Drama The Edge Of Love aus dem Jahre 2008 arrangierte Angelo ein Stück aus seinem Score zu Cet Amour-Là neu und baute es mit ein. Es ist das Stück Elergy For Marguerite, welches hier nun als Fire To The Stars erklingt.

Bereits 2007 veröffentlichte Lynch seinen experimentalen Film Inland Empire. Es war sein erster Film seit Blue Velvet, der keine Musik von Badalamenti beinhaltete. Der Soundtrack bestand auch hier aus vielen Songs und klassischen Stücken, während Lynch den Score, der eher aus Ambient-Collagen besteht, dieses Mal selbst komponierte, zusammen mit seinem neuen musikalischen Partner Dean Hurley. Das sollte allerdings kein Affront Badalamenti gegenüber sein, dem Lynch im Booklet einen besonderen Dank ausspricht. Lynch probierte immer wieder neue musikalische Wege aus, bereits Ende der 90er mit John Neff, mit dem das Album BlueBob entstand. In den folgenden Jahren veröffentlichte Lynch dann auch zwei Alben unter seinem Namen, die mit Dean Hurley auf die gleiche Art entstanden waren, wie die Songs mit Badalamenti. Man traf sich einfach im Studio und probierte verschiedene Sachen aus. Auch das Album von Lynchs damaliger Muse Chrysta Bell entstand auf diese Art über mehrere Jahre hinweg.

Badalamenti selbst hatte sich auch etwas aus dem Geschäft zurückgezogen, komponierte nur noch sporadisch für Filme wie 44 Inch Chest (2010) und A Late Quartet (2012). 2014 dann schrieb er die Musik für den russischen Kriegsfilm Stalingrad. Auch hier konnte wieder eine Sängerin ein Stück Badalamentis musikalisch begleiten, dieses Mal war es Anna Netrebko. Der Film trieft zwar vor Pathos und Propaganda und muss sich so gesehen nicht hinter Hollywood-Kitsch wie Pearl Harbor (2001) verstecken, bot Badalamenti aber doch noch einmal die Gelegenheit, einen großen Orchesterscore zu schreiben.

Unverhofft kommt oft, könnte man sagen, als 2017, nach 25 Jahren, die Serie Twin Peaks mit einer neuen Staffel zurückkehrte. Lynch führte bei allen 18 Folgen selbst Regie und so fühlt sich die Serie auch wie ein langer Spielfilm an, dessen Einzelteile man aber oftmals selbst zusammenfügen muss. Musikalisch bedeutete das natürlich auch die Rückkehr von Angelo Badalamenti. Doch Lynch blieb seinem Stil treu, kann man sagen, und verwendete wieder verschiedenste Musikstücke, die ihn zu Szenen inspiriert hatten, statt einen koheränten Score zu bevorzugen. So tauchten auch alte Thought-Gang-Tracks aus den 90ern hier auf, sowie Stücke, die zusammen mit Dean Hurley enstanden waren. Badalamenti steuerte natürlich auch neue Musik bei, komponierte diese aber schon, bevor die Folgen abgedreht waren. Wie so oft entstand die Musik einfach aus Gesprächen zwischen Lynch und Badalamenti.

2008 schon bekam Angelo den Lifetime Achievement Award bei den World Soundtrack Awards in Gent verliehen. Das Konzert mit seiner Musik war dann auch eine bewegende Feier einer langen Karriere.

Julee Cruise (Quelle: welcometotwinpeaks.com)

Im Juni 2022 verstarb Julee Cruise nach langer Krankheit. Sie entschied sich, eigenbestimmt aus dem Leben zu scheiden, da sie an einer Gelenkserkrankung litt, die es ihr unmöglich machte, ohne ständige Schmerzen weiterzuleben. Diese Nachricht erschütterte Fans und Freunde auf der ganzen Welt natürlich. Auch David Lynch trauerte auf seine Art in seinen regelmäßigen You-Tube-Clips, seinem Weather Report.

Niemand hätte es wohl für möglich gehalten, dass nur kurze Zeit später auch Angelo Badalamenti diese Welt für immer verlassen würde. Er starb friedlich im Schlaf am 11. Dezember 2022 im Alter von 85 Jahren.

Quelle: foreveryoung80s.files.wordpress.com

„Es ist meine zweitbeste Ehe“ hatte Angelo einst augenzwinkernd über die Zusammenarbeit mit Lynch gesagt. Beide schienen mental miteinander verbunden zu sein, bezeichneten sich auch immer wieder als Brüder und so konnte Angelo die Bilder, die David mit Worten malte, in Musik übersetzen. Lynch bedauerte es, dass Angelo nicht in Los Angeles wohnte. Denn so waren die Zeiten, die sie miteinander mit Gesprächen und dem Finden neuer Musik verbrachten, immer einem zeitlichen Rahmen unterworfen. Gerne wäre Lynch einfach spontan mit Badalamenti in sein Studio gegangen und hätte neue Sachen ausprobiert. In seinem Weather Report sagte Lynch dann zum Tode Badalamentis sichtlich getroffen auch nur „Today, no music“.

„Die Musik muss sich mit einem Film verheiraten. Es ist ein Experiment, diese Dinge zu finden, die das vermögen.“ sagte Lynch einst. „Jede Note einer Musik kann dich wie der Wind hinfort tragen und alles, was ich als Regisseur tun muss, ist den richtigen Wind zur richtigen Zeit wehen zu lassen.“ Die Musik von Angelo Badalamenti wird den Hörer auch weiterhin hinfort tragen. Denn auch, wenn sich Dinge verändern und sich die Welt weiterdreht, so bleibt manches doch erhalten.

Quelle: spotify.com

Light and shadow change the walls

Halley’s comet’s come and gone

The things I touch are made of stone

Falling through this night alone

The world spins

Rating: 5.0/5. From 1 vote.
Please wait...

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.