In unserer scheinbar fortschrittlichen Welt vergessen wir immer wieder gern, dass es bis in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts hinein noch Rassentrennung in den USA gab und auch das Frauenwahlrecht wird in Deutschland dieses Jahr gerade mal 100 Jahre alt. Die Rolle der Frau war die der Mutter, die zuhause blieb und sich um die Kinder kümmerte. Bis in die 1970er Jahre hinein hatten es Frauen schwer, in ähnliche Positionen aufzusteigen wie ihre männlichen Kollegen, von denen sie oft nur milde belächelt wurden. Doch eine Zeit des Umbruchs war schon längst im Gange und genau in dieser Zeit trat Ruth Bader Ginsburg auf den Plan. 1954 begann sie ihr Studium an der berühmten Harvard Universität. Und dort beginnt auch der Film.
Ruth und ihr Mann Marty Ginsburg studieren beide an der Harvard Universität. Sie ist im ersten Jahr, er bereits im zweiten. Beide haben bereits eine kleine Tochter, Jane. Nachdem ihr Mann bei einem geselligen Beisammensein mit Freunden zusammenbricht, wird im Krankenhaus bei ihm eine Krebserkrankung festgestellt. Fortan übernimmt Ruth neben ihren Kursen auch die ihres Mannes und macht sich Notizen, die sie ihm immer wieder vorträgt, damit er nichts verpasst. Zwei Jahre später wird Marty, seine Krebserkrankung ist unter Kontrolle, von einer Firma in New York angeheuert. Ruth möchte daraufhin ihr Studium mit den Kursen an der Columbia Universität abschließen, doch der Dekan der Harvard Universität pocht auf die Regeln der Universität und erlaubt es ihr nicht. Sie wechselt dennoch auf die Columbia, wo sie als Jahrgangsbeste abschließt, aber dennoch keinen Job findet, da niemand eine Frau als Anwältin einstellen will.
Sie wird daraufhin Professorin an der Rutgers Law School und unterrichtet das Thema „Das Gesetz und die Geschlechter-Diskriminierung“. 1970 haben sich die Umstände in den USA verändert. Der Vietnam-Krieg tobt, Studenten und andere junge Leute gehen auf die Straße und protestieren gegen den Krieg und für den Frieden. Auch die Frauenbewegung ist auf dem Vormarsch, selbst Ruths Tochter Jane, die nun im Teenager-Alter ist, beginnt zu rebellieren. Von ihrem Mann Marty wird sie auf den Fall von Charles Moritz aufmerksam gemacht. Dieser hatte eine Krankenschwester angestellt, die ihm bei sich zuhause bei der Pflege seiner alten und kranken Mutter helfen sollte. Für die Hilfe der Krankenschwester wurde Moritz ein Steuervorteil verweigert, da das entsprechende Gesetz, Abschnitt 214 des Internal Revenue Code, vorsieht, dass nur eine Frau, ein Witwer oder geschiedener Mann oder ein Mann, dessen Frau diese Hilfe nicht selbst durchführen kann, von diesem Steuervorteil profitieren kann. Aber Moritz war nie verheiratet und das Gesetz sieht nicht vor, dass auch ein Mann sozusagen die Position einer Krankenschwester ausfüllen könnte. Für Ruth verstößt das Gesetz damit gegen die Verfassung, da hier eine Person aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert wird. Sie beginnt einen leidenschaftlichen Kampf für die Gleichberechtigung und gegen alle Widerstände ihrer männlichen Kollegen.
Die echte Ruth Bader Ginsburg ist auch heute noch mit ihren 85 Jahren eine streitbare und leidenschaftliche Kämpferin für Gleichberechtigung und Frauenrechte. Durch sie wurden viele Gesetze gekippt oder überarbeitet, in denen eine Person aufgrund ihres Geschlechtes benachteilitgt wurde. 1993 wurde sie von President Bill Clinton zur Richterin im Supreme Court der Vereinigten Staaten ernannt und wurde damit erst die zweite weibliche Richterin am Obersten Gerichtshof überhaupt. Dieses Amt übt sie bis heute aus.
Ursprünglich war Nathalie Portman für die Hauptrolle vorgesehen, aber nachdem sie das Projekt verließ, übernahm Felicity Jones diese. Auch die Nebenrollen sind mit Armie Hammer als Marty Ginsburg und Kathy Bates als Dorothy Kenyon, eine Aktivistin und Anwältin für Bürgerrechte, gut besetzt. Das Setting führt den Zuschauer zurück in diese Zeit des Aufbruchs, doch leider bleibt der Film insgesamt eher bieder und glatt. Regisseurin Mimi Leder, die in den 1990er Jahren mit Actionkrachern wie Project Peacemaker und Deep Impact auf sich aufmerksam machte, inszeniert Ruths Kampf für Gleichberechtigung handwerklich sauber, aber auch nicht sonderlich originell. So fließt der Film ruhig ohne große Höhepunkte dahin und auch das Ende wirkt etwas abrupt und höhepunktlos. Das liegt auch am Plädoyer von Ruth vor Gericht, welches in Teilen seltsam quer dem gegenüber steht, was sie eigentlich erreichen will. Der deutsche Titel ist dann auch so bieder und unspektakulär wie der Film, Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit.
Auch die Musik von Oscar-Preisträger Mychael Danna (Life of Pi) plätschert eher ereignislos vor sich hin. Aufgeregte Streicher begleiten Ruth bei ihren Recherchen, während zarte Piano-Themen die Beziehung zu ihrem Mann Marty untermalen. Der Soundtrack wurde digital und auf CD veröffentlicht.
In der Doku RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit erlebt man die echte Ruth Bader Ginsburg, die im Vergleich zu ihrem Film-Ich wesentlich resoluter und streitlustiger wirkt, eher wie Kathy Bates‘ Charakter Dorothy Kenyon. Ein wenig mehr Feuer hätte der Rolle von Felicity Jones sicherlich gut getan. Der Film behandelt ein wichtiges Thema, kommt aber leider nicht über gemächliche Sonntagnachmittag-Unterhaltung hinaus. Das ist schon etwas schade, denn der echten Ruth wünscht man einen aufrüttelnderen Film.