Die neunjährige Benni ist kein normales Kind. Getrieben von unkontrollierten Wutausbrüchen und einem Kindheitstrauma, welches sie ausflippen lässt, wenn jemand ihr Gesicht berührt, wird sie von einer Einrichtung zur nächsten durchgereicht. Ihre Mutter, die noch zwei weitere Kinder hat, ist hoffnungslos überfordert, obwohl Benni sich nichts sehnlicher wünscht, als zu ihrer Mutter zurückzukehren. Frau Bafané vom Jugendamt ist es eine Herzensangelegenheit, Benni zu helfen und so engagiert sie mit Micha einen Anti-Gewalt-Trainer, der normalerweise mit kriminellen Jugendlichen arbeitet. Doch dieser stellt sehr schnell fest, dass Benni in einem Heim oder einer Wohngruppe keine Fortschritte machen wird und lässt sich auf ein Experiment ein. Er will mit Benni mehrere Tage alleine im Wald in einer Hütte verbringen, ohne Strom, ohne Internet. Beide nähern sich dann auch tatsächlich an, aber als Benni in Micha einen Ersatzvater sieht, droht sein professioneller Abstand zu dem Fall zu kippen.
„Systemsprenger“ sind Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihres Verhaltens nach und nach durch jegliches Raster fallen in der Kinder- und Jugendhilfe. Der Begriff „Problemkind“ vereinfacht diese Charaktere aber zu sehr. Und das zeigt der Film auf eine sehr eindrucksvolle Weise. Trotz ihrer Wut und der Gewalt schafft es Helena Zengel, die kleine Benni als sympathische Figur darzustellen. Sie gewinnt der Figur viele Facetten ab, die das Produkt vieler falscher Entscheidungen von Erwachsenen sind. Und auch diese bekommen im Film keinen Freischein. Nicht nur die Mutter, auch die aufopferungsvolle Frau Bafané und am Ende sogar Micha, scheitern an ihrer Aufgabe, Benni zu einem besseren Leben zu verhelfen. Dabei ignorieren sie auch immer wieder offensichtliche Signale. Wenn Benni Schutz und Vertrautheit sucht, wird sie weggestoßen. Wenn sie in Ruhe gelassen werden will, gönnen ihr die Pädagogen diese nicht. Und so wird man auch als Zuschauer Zeuge des Versagens derer, die es als Pädagogen eigentlich besser wissen müssten.
Mit ihrem Film wollte Regisseurin und Drehbuchautorin Nora Fingscheidt auf das Leben traumatisierter Kinder aufmerksam machen. Mit „Systemsprenger“ legte sie ihren ersten, abendfüllenden Spielfilm vor, nachdem sie zuvor bereits einige Kurz- und Dokumentarfilme drehte. Das merkt man dem Film auch an. Fingscheidt hat sich in ihrer fünfjährigen Recherche tief in das Thema eingearbeitet und ihre Inszenierung ist immer wieder roh und schnörkellos, was dem Film einen dokumentarischen Anstrich gibt. Gleichzeitig ist der Film aber auch etwas schematisch, wie bei der gern eingesetzten Wackelkamera, die als Stilmittel schon lange nicht mehr neu ist und hier auch ein wenig aus dem Rahmen fällt. Auch dreht sich der Film dramaturgisch im letzten Drittel erst ein paar Mal im Kreis, bevor er zum Ende kommt.
Dennoch bleibt ein beeindruckendes Stück Kino mit frischen, unverbrauchten Darstellern, aus denen besonders Helena Zengel als Benni heraus ragt. Mit ihrem Spiel trägt sie den Film und die Sympathie des Zuschauers auf ihren Schultern. Der Film ist immer wieder unangenehm, geht aber nicht zu weit und zeigt dennoch die Realität. Benni hat hier als „Systemsprenger“ keinesfalls die Rolle der Bösen inne, sondern wirft beim Zuschauer die Frage auf, ob dieses versagende System es in ihrem Fall nicht wert ist, gesprengt zu werden.