Als die Nachricht die Runde machte, dass Martin Scorsese einen Joker-Film drehen würde, war die Aufregung natürlich groß. Es war bereits klar, dass dieser Film für sich alleine stehen sollte, ohne mit irgendeinem anderen aktuellen oder älteren Film aus der BATMAN-Reihe verbunden zu sein. Aber konnte das gut gehen? In einer Zeit, in der das Kino, maßgeblich in Form von Comic-Verfilmungen, zum reinen Popcorn-Event mutiert ist, kann sich da eine Charakterstudie einer Comicfigur durchsetzen? Die Erwartungen bekamen zumindest einen Dämpfer, als bekannt wurde, dass nicht Scorsese, sondern HANGOVER-Regisseur Todd Phillips die Regie und auch das Drehbuch übernehmen würde. Doch mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle blieb das Projekt weiter interessant. Und auch die ersten Trailer zeigten, dass sich der Film dann doch in eine etwas andere Richtung bewegt, als die sonst üblichen Marvel-Filme oder auch die letzten DC-Filme.
Todd Phillips sprach zumindest mit Martin Scorsese und zeigte ihm auch sein Drehbuch. Mehr konnte sich Scorsese nicht in den Film einbringen, da er zur gleichen Zeit seinen neuesten Film THE IRISHMAN drehte. Doch Scorseses Einfluss ist während des ganzen Films zu spüren. Besonders TAXI DRIVER und KING OF COMEDY standen hier Pate. Schon das erste Bild des Films deutet das mehr als deutlich an. Er beginnt mit dem alten, von Saul Bass entworfenen Warner-Logo aus den 70er Jahren.
Und so spielt auch die Geschichte in der Vergangenheit, Anfang der 80er Jahre. Arthur Fleck, ein Außenseiter, der mit seiner psychisch kranken Mutter in einem schäbigen Apartment in Gotham City lebt, ist ein Partyclown, den man aber auch für viele andere Gelegenheiten buchen kann. Wegen einer psychischen Erkrankung wird Arthur immer wieder in den unpassensten Momenten von unkontrollierbaren Lachanfällen geplagt. Von seiner Mutter bekommt er dadurch Unterstützung, dass sie ihm sagt, seine Aufgabe wäre es, die Menschen zum Lachen zu bringen. Doch Arthur möchte mehr sein. Er träumt von einer Karriere als Stand-up-Comedian und eifert seinem großen Vorbild, dem Talkshow-Master Murray Franklin, nach. Sein Boss macht ihm aber das Leben schwer. Nachdem Arthur von ein paar Jugendlichen verprügelt wurde und sie auch das Werbeschild, mit dem er als Clown verkleidet vor einem Laden stand, zertrümmerten, glaubt ihm sein Chef das nicht und verwarnt ihn, weil Arthur nun mal das Schild verloren hat. Von einem Kollegen bekommt Arthur dann eine Waffe zugesteckt, damit er sich in Zukunft verteidigen kann. Und tatsächlich: Als Arthur in der U-Bahn erneut attackiert wird, macht er von seiner Waffe Gebrauch und tötet seine Angreifer. Das löst in ihm den Gedanken aus, dass die, die es in seinen Augen verdient haben, sterben müssen.
Zur gleichen Zeit will der Milliardär Thomas Wayne für das Amt des Bürgermeisters kandidieren. Gotham City ist eine heruntergekommene Stadt, die Straßen sind nach einem anhaltenden Müllstreik verdreckt, es herrscht Armut und Elend. Wayne verspricht, sich um alles zu kümmern, auch um die Ärmsten der Stadt. Doch die fühlen sich im Stich gelassen. Als in den Nachrichten von dem Mord an den drei Männern in der U-Bahn berichtet wird, die auch noch als Makler für Thomas Wayne arbeiteten, äußert sich dieser abfällig über „nicht-reiche“ Menschen und meint, dass nur der Neid der Armen auf die Reichen verantwortlich für diese Morde sei. Da der Täter als Clown verkleidet war, bezeichnet er die Sympathisanten der Morde auch als Clowns, was in der Bevölkerung eine Protestbewegung gegen das Establishment hervor ruft. Mit Clownsmasken und Slogans wie „We are all Clowns“ machen die Leute ihrem Ärger Luft. Arthur genießt zunächst die mediale Aufmerksamkeit seiner Tat, doch bald ist ihm das nicht genug. Er schmiedet einen Plan, um die ganze Situation eskalieren zu lassen.
Mit düsteren, grobkörnigen Bildern lässt Todd Phillips die Welt von TAXI DRIVER wieder aufleben. Er zeigt einen Mann, der als Außenseiter zunächst nur sein Glück sucht, aber durch ein gnadenloses System mehr und mehr in den Wahnsinn getrieben wird, bis er sich zur Wehr setzt. Neben dem wirklich beeindruckenden Spiel von Joaquin Phoenix ist der Look das Highlight des Films. Man schmeckt fast schon diese „dreckige“ Welt und ist als Zuschauer immer nah bei Arthur Fleck und seiner Reise in die Dunkelheit. Aber kann man sich als Zuschauer wirklich mit ihm identifizieren?
Das Interessanteste an der Geschichte ist, dass es die Welt, die wir von Batman kennen, sozusagen aus der Sicht der Anderen zeigt. Normalerweise sind wir beim Milliardär Bruce Wayne, der des Nachts als Batman für Sicherheit in Gothams Straßen sorgt und gegen den Abschaum der Unterwelt kämpft. In JOKER bekommen wir nun diese Unterwelt präsentiert. Und es sind die Reichen, wie Thomas Wayne, die auf den Rest der Bevölkerung herab blicken und die sich nicht um das Wohl der Armen kümmern. In dieser Welt ist im Grunde auch Batman ein Bösewicht, wenn er nur die Reichen und Mächtigen beschützen würde. Doch Batman kämpft für all die, die in Not sind und stellt sich nicht über sie. Das hat er hier seinem Vater Thomas Wayne zumindest voraus.
„Everything must go“, das steht auf dem Werbeschild, welches Arthur bei seinem Job als Werbe-Clown trägt. Und das ist natürlich das Motto für den ganzen Film. Das System muss weg, es muss ein Umsturz stattfinden. Die armen Leute von Gotham hausen in kleinen, schmutzigen Apartments und werden mit konservativer Unterhaltung ruhig gehalten. Dazu zählt auch die Talkshow von Murray Franklin, der seine Show genau so schon bereits seit vielen Jahren macht und auch genaue Niveau-Grenzen zieht, die der Humor seiner Show nicht überschreiten darf. Auch Murray begeht Verrat an Arthur und so wird er für den neu geborenen Joker ein Sinnbild dafür, was falsch läuft und weg muss in dieser Welt.
Doch wie viel Batman-Joker steckt eigentlich in diesem Joker? Da er Batman körperlich nicht gewachsen ist, muss der Joker immer versuchen, ihn mit Köpfchen zu schlagen. Der Joker ist zwar verrückt, aber er ist intelligent verrückt. Er ist nicht einfach nur ein Irrer, der manisch lachend durch die Gegend hüpft. Ist Joaquin Phoenix der intelligente Joker? Nur ansatzweise. Aber jede Figur kann im Laufe der Jahre eine Entwicklung durch machen. Und da Bruce Wayne hier noch ein kleiner Junge ist, hat der Joker noch einige Jahre Zeit, um dieses kriminelle Mastermind zu werden. Aber ist die Figur des Jokers dann nicht einfach nur ein Aufhänger für den Film? Im Prinzip schon, denn der Film würde ebenso funktionieren, wenn Joaquin Phoenix einen anderen Namen im Film hätte. Die ganzen Verweise auf Batman und dessen Welt könnten problemlos aus dem Film gestrichen werden, es würde die Handlung nicht verändern. Das ist wohl das größte Manko des Films, er klebt einfach zu sehr an seinen Scorsese-Vorbildern, um eine eigenständige „origin story“ für den Joker zu sein. Dazu ist das Drehbuch in Teilen ebenfalls recht unoriginell. Es arbeitet in der ersten Hälfte die typische Checkliste für den psychisch gestörten Killer ab: lebt bei seiner Mutter, ist ein Außenseiter, wird von seinem Job gefeuert, wird von anderen ausgelacht oder verprügelt. Phoenix hebt mit seinem Spiel das Material merklich an, im letzten Drittel wird es dann aber auch inhaltlich interessanter.
Kleiner Spoiler!
Als Arthur eine zeitlang glaubt, seine Mutter hätte eine Affäre mit Thomas Wayne gehabt, weil sie selbst das auch glaubt, und er defacto Waynes Sohn ist, keimt für ihn kurz die Hoffnung auf, ebenfalls Teil des Establishments zu werden. Denn als Sohn des reichen und mächtigen Thomas Wayne hätten er und seine Mutter es natürlich viel einfacher. Doch er findet heraus, dass seine Mutter das in ihrem Wahn erfunden und sie Arthur eigentlich adoptiert hat. Durch die Misshandlungen ihres Lebensgefährten, auch an Arthur, kam seine vermeintliche Mutter dann nach Arkham in die Psychatrie. Also tötet er auch seine vermeintliche Mutter, da sie ihn auch verraten und Schmerz zugefügt hat.
Spoiler Ende!
Da Robert De Niro sowohl in TAXI DRIVER, als auch in KING OF COMEDY die Hauptrolle spielt, darf er natürlich auch hier nicht fehlen. Er gibt den Talkshow-Moderator Murray Franklin nüchtern und zurückhaltend, hat allerdings auch nicht wirklich viele Szenen, um diese Figur richtig zu formen. Somit bleibt Murray Franklin nur ein Symbol für den Beginn der Anarchie und De Niros Auftritt im Film fast schon so etwas wie ein Gimmick.
Die Musik stammt von der Isländerin Hildur Guðnadóttir, die bis zu seinem Tod immer wieder eng mit Jóhann Jóhannsson (ARRIVAL, SICARIO MANDY) zusammenarbeitete. Aktuell stammt auch die Musik zur Serie CHERNOBYL von ihr. Da sie selbst ausgebildete Cellistin ist, taucht das Cello auch immer wieder prominent in ihrer Musik auf, so auch in JOKER. Die düster-knarzigen Cello-Passagen der Musik passen recht gut zu der Welt, in der Arthur Fleck lebt und spiegeln auch immer wieder gut seine Stimmung wieder. Allerdings gibt es in der Musik leider auch wenig Abwechslung, weshalb man spätestens nach der Hälfte glaubt, immer wieder das gleiche Stück Musik zu hören. So ein wenig erinnert die Musik auch an Howard Shores Score zu SE7EN. Ein thematischerer Score hätte dem Film sicherlich gut getan. Der Soundtrack wurde von Watertower digital veröffentlicht, sowie als „CD on demand“ und erscheint im Dezember auch auf Vinyl.
JOKER ist mitnichten ein schlechter Film. Phoenix gibt wirklich alles in der Hauptrolle und trägt den Film somit auch über einige dramaturgische Unebenheiten hinweg. Doch Drehbuch und Inszenierung wirken etwas schlampig, viele Dinge werden nur angerissen, aber nicht wirklich weiter verfolgt. Es wirkt dann eben wie eine pure Aberzählung von Dingen, die so passieren. Dadurch bleibt vieles vage, wodurch auch ein wenig die Glaubwürdigkeit so mancher Szenen leidet. So kommt es beispielsweise zu einer riesigen Welle des Protests in der ganzen Stadt, nachdem die Nachrichten von dem Killerclown berichten. Das wirkt angesichts der Tatsache, dass vorher nicht wirklich etabliert wird, dass da in den Straßen etwas brodelt, doch etwas übertrieben. Zumal sich sofort alle mit Clownsmasken eindecken.
Dennoch bleibt der Film fast schon eine Ausnahme in der heutigen Comic-Kino-Landschaft. Denn der Film spielte auch ohne große Explosionen und andere Schauwerte mittlerweile weltweit über 730 Millionen Dollar ein. Zusätzlichen Antrieb hat er natürlich von all den Kontroversen bekommen, die ihn im Vorfeld begleiteten. So ist beispielsweise ein Song des verurteilten Pädophilen Gary Glitter in einer Szene zu hören. Dazu gesellten sich dann die Hinterbliebenen des „Aurora shooting“, bei dem 2012 zwölf Menschen ums Leben kamen, als ein psychisch gestörter Mann bei einer Vorstellung von THE DARK KNIGHT RISES wild um sich schoss. Aufgrund seiner bunten Haare und seines Auftretens wurde er von der Polizei fälschlicherweise als „Joker“ bezeichnet.
Insgesamt kann der Film dem negativen, aber auch positiven Hype nicht ganz standhalten. Was bleibt ist eine Charakterstudie über den Niedergang einer Person und einer Gesellschaft. Arthurs gezwungenes Lachen hat nichts Lustiges an sich. Es trägt den Schmerz und die Verzweiflung seines Inneren selbst in sich. In den Händen eines findigeren Filmemachers wäre das Ganze sicherlich noch interessanter geworden, aber JOKER ist dennoch ein gutes Stück Charakter-Kino, welches man heute nicht mehr so häufig in Hollywood findet.