Mit dem Londoner Frauenmörder „Jack the Ripper“ wird Fritz Honka oft verglichen. Er verbreitete Anfang der 1970er Jahre in Hamburg auf St. Pauli ähnlichen Schrecken und unter den Anwohnern ging die Angst um. Auch Honkas Opfer waren die Gestrandeten, die Vergessenen, Prostituierte. Bewohner einer Parallelwelt, deren Zentrum die verlotterte Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“ war. Hier trafen sie sich, um sich einfach dem Alkohol hinzugeben. Und hier trafen einige der Damen auch ihren Mörder.
Fritz Honka ist ein Hilfsarbeiter und er verbringt seine Abende meist in der Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“. Der Wirt und andere regelmäßige Besucher der Kneipe kennen Honka schon lange. Er gilt wegen seines deformierten Gesichts und der dicken Hornbrille eher als schüchtern und verschlossen. Immer wieder bittet Honka den Kellner, in seinem Namen Frauen in der Kneipe anzusprechen und sie auf seine Kosten zu einem Drink einzuladen. Eines Tages nimmt er eine der abgefüllten Damen mit nach Hause, um den Geschlechtsakt mit ihr zu vollziehen. Doch seine aufgestaute Wut durch lebenslange Abweisung durch das weibliche Geschlecht und seine sexuelle Frustration führen dazu, dass er die Frau ermordet. Da er Schwierigkeiten damit hat, die Leiche zu entsorgen, zerstückelt er sie und verteilt die Einzelteile in der Umgebung. Da er mit dem Mord nun seine letzte Hemmschwelle überschritten hat, fallen ihm auf eine ähnliche Weise weitere Frauen zum Opfer. Diese zerstückelt er ebenfalls, verteilt die Einzelteile aber nicht mehr in der Gegend, sondern verstaut sie in seiner mit pornographischen Bildern dekorierten Dachgeschoßwohnung in kleinen Räumen in der Wand. Um den Geruch zu verdecken, behängt er seine ganze Wohnung mit Duftbäumchen, um dann bei Nachfrage wegen des Geruchs auf seine griechischen Nachbarn zu verweisen, die unter ihm wohnen.
Vier Jahre später lernt Honka die ältere Wienerin Gerda in der Kneipe kennen und nimmt sie mit zu sich. Da er durch den Alkohol keine Erektion bekommt, vollzieht er den Akt an ihr mit einem Kochlöffel. Am nächsten Tag ist Gerda immer noch da. Zunächst schlägt er sie und will, dass sie verschwindet. Doch dann merkt er, dass sie seine Wohnung aufgeräumt hat und auch für ihn kochen kann. Er vollzieht weiterhin entwürdigende Sexpraktiken mit ihr und lässt sie einen von ihm selbst verfassten Vertrag unterschreiben, mit dem sie praktisch einwilligt, seine Sklavin zu werden. Außerdem muss sie ihm ihre Tochter Rosi als Partnerin versprechen. Doch die Folgen der langsam vor sich hin verwesenden Leichenteile bleiben nicht lange unentdeckt.
Der Goldene Handschuh ist kein schöner Film. Regisseur und Autor Fatih Akin zeigt das Milieu ungeschönt und direkt. Er schickt seine Zuschauer durch die Qualen der Opfer, deren Erniedrigung und Tod man in langen, quälenden Einstellungen mitverfolgt. Fast meint man, das Blut, die Verwesung, den Schweiß und die Tränen riechen und schmecken zu können. Akin ist sehr explizit in dem, was er zeigt, doch er behält sich dennoch eine gewisse Distanz vor. Vieles geschieht in totalen Einstellungen, manches im Off, einiges verdeckt durch eine Tür oder eine Wand. Trotzdem sieht man genug, um zartbesaiteten Zuschauern das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Ich kam nicht umhin, diese Bilder in ihrer Offenheit mit den Filmen Jörg Buttgereits zu vergleichen. Mit dem Unterschied allerdings, dass Buttgereit immer mittendrin war und dem Zuschauer nicht den sicheren Komfort einer Totalen oder eines halb verdeckten Bildes gewährte.
Das erfordert vor allem auch von den Schauspielern viel Mut. Nicht nur die weibliche Riege der Darsteller muss viel über sich ergehen lassen, auch Jonas Dassler in der Hauptrolle entblößt sich nicht nur seelisch vor dem Zuschauer in seiner Rolle. Mir kam da Isabella Rossellini in den Sinn, die in David Lynchs Blue Velvet den sadistischen Launen Dennis Hoppers ausgeliefert ist. Damals bemerkte der berühmte Filmkritiker Roger Ebert, dass ihm Rossellini im Film sehr leid getan habe und er noch keine Schauspielerin gesehen habe, die solch entwürdigende Sachen vor der Kamera machen musste. Er hätte wohl etwas Ähnliches über Der Goldene Handschuh gesagt.
Im Kontrast zu Honkas Morden und der Parallelwelt der Gescheiterten und Gefallenen steht die stets im Film präsente Schlagermusik. Roy Black im geschniegelten Smoking mit Fliege singt für vom Alkohol gezeichnete Menschen in abgerissenen und fleckigen Kleidern. Die Heile-Welt-Texte treffen auf verrauchte Kneipenbilder, die von wankenden und lallenden Gestalten bevölkert werden, sowie auf Bilder voller Blut, Schweiß und Ekel, wenn Honka versucht, Sex mit seinen Opfern zu haben, bevor er sie tötet. Besonders Adamos „Es geht eine Träne auf Reisen“ hat es Honka angetan, er legt die Platte bei sich in der Wohnung immer wieder auf.
Das alles zeichnet ein düsteres Portrait Deutschlands der frühen 1970er Jahre, in dem das Wirtschaftswunder nach dem Krieg nicht alle Menschen mitgerissen hat. Oder doch nicht? Zunächst mal ist das Bild der Zeit sehr gut eingefangen. Die Ausstattung läßt das Hamburg der 1970er Jahre wieder auferstehen und auch das Make-up-Department hat, besonders natürlich bei Jonas Dassler, ganze Arbeit geleistet. Doch gleichzeitig wirkt alles ein wenig zu sehr überzeichnet. In einer Kritik wurde angemerkt, Dasslers Honka sähe aus wie eine Mischung aus Nosferatu, David Lynchs Der Elefantenmensch und Horst Schlämmer. Dazu kommt noch der sächsische Akzent (Honka wurde in Leipzig geboren). So kommt Honka tatsächlich immer wieder wie eine Witzfigur rüber. Auch die anderen Mitglieder aus dem Kuriositätenkabinett aus der Kneipe, wie Soldaten-Norbert und Nasen-Ernie, wirken wie eine Staffage, eine Aufreihung mutierter Menschen wie in einer Zirkus-Freakshow. Dazu die Schlagermusik und Honkas unbeholfene Sex-Versuche, der Grat zur grotesken Komödie ist hier wirklich sehr schmal und manchmal kippt der Film dann doch in die Komödien-Richtung.
Auf der anderen Seite sorgt dieses vermeintlich Witzige an Honkas Äußerem und seiner Art für den Kontrast zu den schrecklichen Taten, die er vollzieht. Dennoch war es seltsam, im Kino das Gelächter der anderen Zuschauer zu hören, wenn Honka in einer diese langen Einstellungen fast schon tolpatschig sein Opfer überwältigt, erschlägt und dann zersägt. Unfreiwillige Komik und Tod liegen wohl doch nahe beieinander. Der Zuschauer hat es aber auch nicht leicht, eine Bezugsperson im Film zu finden. Es gibt keine Figur, mit der man sich identifizieren kann und selbst das Leiden der Opfer wurde immer wieder belacht, wenn Honka beispielsweise Gerda mit der Faust ins Gesicht schlägt und sie dann hinterher ihre dritten Zähne vom Boden aufsammeln muss. Das liegt zum Teil eben daran, dass die Dialoge und Reaktionen der Figuren etwas zu überzeichnet sind und immer wieder am Rande ihrer eigenen Parodie stehen. Vielleicht auch am bereits etwas erhöhten Alkoholpegel mancher Zuschauer oder an beidem.
Auch macht es sich der Film etwas einfach damit, den Alkohol als Hauptursache für Honkas Taten zu inszenieren. Seine Wandlung zum fast schon liebenswerten Typen in der Mitte des Filmes, nachdem er mit dem Trinken aufgehört hat, kommt dann auch sehr plötzlich, verstärkt aber den Eindruck, dass es hauptsächlich der Alkohol war, der Honka zu seinen Taten getrieben hat. Dabei spielen psychologisch so viele Faktoren eine Rolle und auch Honka selbst war im wahren Leben ein vielschichtigerer Charakter, als es der Film suggeriert. Auch die gleichnamige Romanvorlage von Heinz Strunk, auf der der Film basiert, geht mit Honka, seinen Opfern und seinen Taten differenzierter und sachlicher um, während sich Akin den Vorwurf gefallen lassen muss, sich zu sehr in Gewalt und Ekel zu suhlen, was auf Dauer auch etwas repetitiv wirkt. „Akin zeigt kein Gespür für Zwischentöne, sondern weidet sich an Ekel und Elend“, heißt es in einer Kritik zum Film. Der Vorwurf der Gewaltverherrlichung steht bei so einem Stoff natürlich schnell im Raum. Dazu passt ganz gut das Argument von Paul Verhoeven, der aufgrund seiner expliziten Gewaltdarstellungen in Filmen wie RoboCop und Total Recall sich selbst immer wieder diesem Vorwurf ausgesetzt sah. Natürlich würde er Gewalt nicht befürworten, Gewalt ist etwas Schreckliches und deshalb müsse sie auch in allen Einzelheiten so schrecklich gezeigt werden. Denn dem Zuschauer eine Komfortzone zu geben, hilft ihm nicht, die Tragweite und Konsequenz von Gewalt wirklich zu verstehen.
Das führt bei Akin dann natürlich auch dazu, dass selbst die Opfer ihren letzten Rest Würde verlieren. Darf man das, wenn es um tatsächliche Opfer eines tatsächlichen Ereignisses geht? Nun, auch hier könnte man wieder das Argument anbringen, dass den wahren Opfern nun mal ihre Würde genommen wurde durch das, was sie durch Honka erleiden mussten und es falsch wäre, diesen Verlust im Film auszuklammern. Akin will mit seinem Film weh tun, er will kein steifes deutsches Drama. Das sollte jedem klar sein, der sich den Film ansehen möchte. Akin gab sogar als eine Art Warnung heraus, dass Frauen sich diesen Film besser nicht ansehen sollten.
Ebenfalls im Kontrast zur fröhlichen Schlagermusik steht der Score von FM Einheit. Bis in die 1990er Jahre hinein war Einheit Mitglied der Band „Einstürzende Neubauten“, die vor allem in ihren Anfangsjahren die Grenze zwischen Musik und Geräusch ausloteten, in dem sie auf allem spielten, nur nicht auf konventionellen Instrumenten. Für den Film beschränkt sich Einheit dann auch meist auf pochende Bassfrequenzen, die immer wieder durch den fröhlichen Klang der Schlager hindurchbrechen.
Wie eine Spiegelung auch heute noch existierender Klischees ist es im Film dann auch die griechische Familie, die unter Honka wohnt, welche scheinbar in dieser heilen Welt der in den Schlagern oft besungenen, glücklichen Familie lebt. Dazu passt es auch, dass Honka sie nicht nur immer wieder beschuldigt, diesen Gestank im Haus zu verbreiten, der eigentlich von den Leichen seiner Opfer kommt, er redet auch sonst recht abfällig über sie. Vielleicht ist das sogar ein Spiegel unserer heutigen Gesellschaft, in der der Deutsche dem vermeintlichen Ausländer den Gestank der Leichen im eigenen Keller gern vorhält. Möchte man das ganz große Fass aufmachen, könnte man auch sagen, dass Honkas Leichen die Toten des Zweiten Weltkrieges sind, deren Geruch der Deutsche nicht mehr erträgt, sich aber lieber an dem Fremden abreagiert, anstatt sich seiner Vergangenheit zu stellen. Aber das führt wohl zu weit. Nicht zu weit führt aber der Match Cut, der vielleicht der beste Regie-Einfall des Films ist. Als Honka einem seiner schreienden Opfer die Zunge herausschneidet, hört man das nur, sieht aber einen gekochten Lammkopf, den der Vater der griechischen Familie gerade zubereitet, indem er dessen Maul aufreißt und die Zunge entfernt.
Der Goldene Handschuh ist als Film nicht durchweg gelungen. Die etwas eindimensionale Darstellung von Honkas Charakter und dem Einfluss des Alkohols hätte man breiter fächern können. Auch die Zurschaustellung des Elends in allen Einzelheiten wirkt auf Dauer eher abstumpfend denn aufwühlend. Dennoch bleibt ein deutscher Film, der sich mehr traut als die meisten anderen aktuellen Vertreter seiner Zunft. Ein Film, der nicht nur am Schorf kratzen, sondern ihn wegreissen und das Eiter darunter frei legen will, um mal in der Bildsprache des Films zu bleiben. Darauf sollte man gefasst sein, wenn man sich den Film ansehen möchte. Ein intensives Kinoerlebnis wird es dann auf alle Fälle werden.
Der Song erlebt gerade ein kleines Comeback. Dank des Film Der goldene Handschuh , in dem Frauenm rder Fritz Honka diese Scheibe auflegt, bevor er sein erstes Opfer zerteilt. Das Lied ist ein Klassiker f r mich, und kein schlechter.