Ich finde „The Division Bell“ zu unrecht verrissen, ein wundervolles Album, voller Melancholie, die über allem liegt. Nie klang Gilmours Gitarre wehmütiger als auf diesem Album, das krasse Gegenteil des harschen Vorgängeralbums „A Momentary Lapse of Reason“. Besonders erstaunt bin ich immer wieder darüber, wie viele „Echos“ alter Zeiten auf dem Album vertreten sind, seien es Anspielungen im Text, in der Musik, den Geräuschen oder im Booklet. Von daher habe ich „The Division Bell“ immer als letztes Floyd-Album gesehen, was es im Nachhinein ja auch war („The Endless River“ ist im Grunde eine Fortführung von „The Division Bell“), welches aber schon so konzipiert wurde, denn diese Anhäufungen von Zitaten können nicht zufällig entstanden sein oder wie es Kritiker ausdrückten aus Mangel an neuen Ideen. Für mich schliesst das Album die Bandgeschichte hervorragend ab. Es ist ein Best-of-Album ohne wirklich eines zu sein.
Mitte der 80er schien die Band PINK FLOYD am Ende zu sein. Keyboarder Richard Wright wurde Anfang der 80er schon von Bassist Roger Waters, der sich im Laufe der Jahre zum egomanischen Floyd-Mastermind entwickelte, aus der Band geworfen und mit Gitarrist David Gilmour geriet er immer wieder aneinander. So war es abzusehen, dass die Band früher oder später zerbrechen würde. Allerdings deuteten alle wohl die Zeichen etwas anders, es fand praktisch keine funktionierende Kommunikation statt. Waters verkündete in einem Interview, dass es die Band PINK FLOYD nicht mehr gebe, da vor allem er als Mastermind des Ganzen keine Lust mehr hatte. Dies wiederrum rief David Gilmour und Drummer Nick Mason wieder auf den Plan, die der Ansicht waren, dass PINK FLOYD nur deswegen funktioniert hätte, weil sie alle vier zusammen eine Gruppe waren und keine musikalischen Einzelgänger.
So kam es dazu, dass Gilmour und Mason, sehr zum Zorn von Roger Waters, 1986 mit den Arbeiten an einem neuen Floyd-Album ohne Waters begannen. Die Angelegenheit wurde noch etwas komplizierter, als die beiden Richard Wright wieder mit in die Band holten, der zu diesem Zeitpunkt aber aus rechtlichen Gründen noch nicht wieder offizielles Mitglied werden konnte, da Waters unter anderem seinen drei Ex-Kollegen gerichtlich verbieten wollte, den Namen „Pink Floyd“ zu benutzen. So erschienen 1987 das Floyd-Album A MOMENTARY LAPSE OF REASON und Waters´ Solo-Platte RADIO K.A.O.S.. Natürlich verkaufte sich das Floyd-Album wesentlich besser und auch die fast gleichzeitig stattfindenden Tourneen der beiden Fraktionen heizten die Situation noch weiter an. Die Hinzunahme von Gastmusikern für die Floyd-Tour, die Gilmour, Mason und Wright unterstützten, sorgte für weiteren Spott aus dem Waters-Lager. Ein Pro-Waters-Journalist schrieb „Genauso gut könnte sich Paul McCartney mit Ringo Starr wieder zusammentun, ein paar Gastmusiker dazuholen und die Band „The Beatles“ nennen“.
1994 dann erschien das Floyd-Album THE DIVISION BELL. Der Ärger war etwas abgeklungen, aber grün waren sich die Parteien immer noch nicht. War MOMENTARY LAPSE im Grunde fast ein Gilmour-Solo-Album, erschufen Mason, Gilmour und Wright nun wieder gemeinsam als Band ein Album. Viele Fans aus dem Waters-Lager hatten nicht viel übrig für die Ergüsse der „Rest-Floyd“, sie brandmarkten das Album als langweiliges Wiederkäuen alter Harmonien und Ideen. Dabei schienen sie glatt zu übersehen, dass genau das der rote Faden dieses Albums ist, die „Kommunikation“ mit der Vergangenheit. Die „Division Bell“ wurde in früheren Zeiten geläutet, um die Leute zusammenzurufen und genau das ist auch der Rahmen für das Album. Das Thema „Unterbrochene Kommunikation“, wie sie auch zwischen den Floyd selbst herrschte, zieht sich durch alle Songs des Albums. Das Cover ist ebenfalls ein Sinnbild dafür, auf dem man, je nach Betrachtungsweise, zwei profilige oder ein frontales Gesicht sieht. In den Texten gibt es verspielte Referenzen an alte Floyd-Songs bzw an die „Welt“ der Floyd und es tauchen auch Klänge aus der Vergangenheit auf. Gilmour wollte das Album ursprünglich „Pow-Wow“ nennen, der indianische Begriff für eine Zusammenkunft verschiedener Stämme, um gemeinsam Musik zu machen und Tänze aufzuführen. Der Titel „The Division Bell“ wurde dann von Douglas Adams, Autor von „Per Anhalter durch die Galaxis“ vorgeschlagen, als Mason und Gilmour mit ihm essen waren.
Das Album wird eröffnet von dem Instrumentalstück „Cluster One“. Oberflächlich betrachtet war es für viele nichts weiter, als ein unnötiges Eröffnungsstück. Wer aber genauer hinhört, entdeckt die Feinheiten, die sich darin verbergen. So beginnt Wright mit sanften und „vorsichtigen“ Tönen auf seinem Keyboard. Diese Töne werden im Hintergrund von Gilmours Gitarre „zurück geworfen“, allerdings rückwärts abgespielt. Das Stück steigert sich weiter, plötzlich spielen Gitarre und Keyboard miteinander, so, als wäre aus dem anfänglichen, unsicheren „Abtasten“ soetwas wie ein „Gespräch“ geworden, das Ganze hat nun auch eine klar erkennbare Melodie. Dann setzen noch Masons Drums ein und die Band „kommuniziert“ wieder miteinander. So geht es dann in den ersten Song. Das Cluster-One-Symbol, drei dicke untereinander verlaufende Striche mit einer Art Sichelmond auf der rechten Seite, zierte auch die Motorhaube des Pink-Floyd-Golf. Es symbolisiert wohl die drei Bandmitglieder, die wieder eine Band geworden sind.
In „What do you want from me?“ geht es um den Verlust der Kommunikation zwischen dem Publikum und den Künstlern auf der Bühne, aus dieser „Isolation“ entstand damals auch THE WALL. Ausserdem fordert Gilmour in dem Song die Zuhörer dazu auf, sich selbst ihre Gedanken zu machen und sich von dem Missglauben zu befreien, dass der Mensch, der da auf der Bühne steht und den man anhimmelt, alle Antworten kennt.
„Poles apart“ ist ein Song über den Verlust alter Freunde, der erste Vers handelt von Floyd-Mitgründer Syd Barrett, der zweite von Roger Waters. Nicht ganz klar dürfte sein, wer die „Blinden“ sind, die Gilmour angeführt hat, wenn er über Waters singt „Leading the Blind, while I stare out the steel in your eyes“. Die Fans? Mason und Wright? Gilmours letztes Wort der Zeile „Did you know?“ wird als Echo immer wieder zurückgeworfen, quasi als Reminiszenz an das „Animals“-Album, bei dem das Wort „Stone“ als Echo widerhallte und sich mit jedem Mal mehr verfremdete.
Es geht weiter mit einem weiteren Instrumentalstück, „Marooned“. Hier zaubern Wright und Gilmour, der mit seiner Gitarre Walgesänge imitiert, ein Klagelied der Weltmeere und der darin lebenden Geschöpfe. Im Booklet bilden dazu auch zwei walähnliche Geschöpfe die Form eines Atompilzes. Hier stand ganz klar „The great Gig in the Sky“ aus „Dark Side of the Moon“ Pate.
„A great day for freedom“ ist ein Song über die Enttäuschung neu gewonnener Freiheit. Im Text gibt es Verweise auf den Fall der Berliner Mauer und die damit überschwengliche Freude der „Befreiten“, die dann der Enttäuschung wich, dass diese neue Freiheit eigentlich nicht viel verändert hat und nur wenig sich so verändert hat, wie man es sich vorher vorgestellt hatte. Man kann natürlich auch eine Verbindung zu Floyds „The Wall“ ziehen und die Befreiung der drei Bandmitglieder von Waters.
„Wearing the Inside Out“ ist der wohl persönlichste Song des Albums. Komponist Richard Wright, der den Song auch singt, beschreibt darin die traurigste Zeit seines Lebens. Ende der 70er steckte er in einer Krise, er war nicht mehr so kreativ wie früher, er kam von den Drogen nicht los, seine Ehe zerbrach und zum krönenden Abschluss wurde er auch noch aus der Band geworfen. Im Text gibt es vielerlei Wortspiele, wie z. B. „And with these words I can see, clear through the clouds that covered me“. Die Wolken, die Wright umgaben, dürften wohl mehr als nur einmal von dem Rauchen bestimmter Substanzen gestammt haben. Weiter heisst es im Text „I´m creeping back to life“ und tatsächlich klingt das Lied mit einem sanften Herzschlag des „wiederbelebten“ Richard Wright aus, was wiederrum eine Hommage an den berühmten Herzton auf DARK SIDE OF THE MOON sein dürfte.
Etwas poppiger geht es weiter mit „Take it back“. Auf den ersten Blick geht es im Text um eine Frau, deren Liebe, Zuneigung und Aufopferung von ihrem Gegenüber nicht mehr geschätzt wird. Die Frau ist hier allerdings Mutter Erde, die von den Menschen missbraucht und ausgenutzt wird. Deshalb wird sie sich irgendwann alles „zurückholen“. Der Clou dabei ist, dass die vermeintliche Frau im Text immer mit Natur-Attributen beschrieben wird, da heisst es dann:
Her love rains down on me easy as the breeze
I listen to her breathing, it sounds like the waves on the sea…
And I make her prove her love for me, I take all that I can take
And I push her to the limit to see if she will break
Ein melancholisches Gitarrensolo geleitet den Hörer in das nächste Stück, „Coming back to life“. Hier geht es um die Höhen und Tiefen in einer Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen. Die Zeilen
I took a heavenly ride through our silence
I knew the moment had arrived
For killing the past and coming back to life
könnten aber auch eine Beschreibung des neu gewonnenen „Lebens“ der Bandmitglieder sein, die die unschöne Vergangenheit hinter sich gelassen haben.
Es folgt die Quintessenz der ganzen Albums, der Song „Keep Talking“. Hier geht es darum, dass wir kommunizieren müssen, um zu überleben. Am Anfang und in der Mitte des Songs hört man die Computerstimme von Stephen Hawking:
For millions of years, mankind lived just like the animals
but something happened, which unleashed the power of our imagination
we learned to talk
…
It doesn´t have to be like this
all we have to do is make sure we keep talking
Ironie des Ganzen, dass uns ein Computer sagt, niemals aufzuhören, zu kommunizieren.
Das verzerrte „Bla bla bla“-Genuschel von Gilmour erinnert wieder an das Animals-Album, an den Sound der „Schweine“.
„Lost for words“ kommt dann als ganz klare Reminiszenz an den Floyd-Song „Wish you were here“ daher. Im ähnlichen Akustikgewand wie „Wish …“ erzählt der Song davon, wie aus Freunden Feinde werden. Die Kommunikation setzt aus und man schlägt nur noch aufeinander ein, was in dem Song durch verfremdete Geräusche eines Boxkampfes, inklusive Ringglocke und dem Verkünden des Siegers durch K.o., angedeutet wird.
Der krönende Abschluss des Albums wird mit dem Läuten einer Glocke, der „Division Bell“, dem Summen der Bienen und dem Zwitschern der Vögel eingeläutet, „High Hopes“. Während die Klangcollagen an das Floyd-Album „Atom Heart Mother“ erinnern, speziell an Gilmours „Fat Old Sun“, gibt die Glocke auch gleichzeitig den Takt des Songs vor. Der Song ist ein Kaleidoskop voller Melancholie, es geht hier um die Zeit, als man noch ein Kind und die Welt noch ein magischer Ort war. Viele haben als Erwachsene die Brücken zu ihrer Kindheit und Vergangenheit abgebrochen und wissen gar nicht, welche Welt sie damit zurücklassen. Auch hier gibt es im Text wieder witzige Wortspiele und Doppeldeutungen: Die „World of Magnets and Miracles“ könnte ein Tonstudio sein, in welchem auf Magnetbändern die Wunder festgehalten werden, die man dort mit den Instrumenten erzeugen kann. Die Refrainzeilen „The grass was greener, the light was brighter“ könnten ebenfalls wieder mit berauschenden Substanzen in Verbindung gebracht werden, im Zusammenhang beschreiben sie aber die Welt der Kindheit, obwohl objektiv das Gras damals auch nicht grüner und das Licht nicht heller war, aber mit den Augen eines Kindes gesehen eben schon. Zum Abschluss gibt es ein wundervolles Slide-Guitar-Solo von Gilmour, das bei jedem Hören einfach nur Gänsehaut erzeugt. Das National Philharmonic Orchestra, unter der Leitung von Michael Kamen und den Arrangements von Kamen und Edward Shearmur, bettet den Abschluss des Albums in die Gewissheit, dass die wieder aufgenommene Kommunikation das Licht am Ende des Tunnels ist.
Ein Bild aus dem Video von „High Hopes“, die Fahnen und die Farben stellen wohl Fragmente von Kindheitserinnerungen dar, die mittlere Person, hier leider nicht gut zu sehen, trägt eine weisse Maske…vielleicht ein Verweis auf die Masken der Bandmitglieder bei der THE-WALL-Tour?
Der Song und das Album enden mit dem langsamen „Verschwinden“ der läutenden Division Bell. Als kleinen Abschlussgag gibt es nach einigen Sekunden Stille die Stimmen von Bandmanager Steve O´Rourke und Gilmours jüngstem Sohn zu hören, die ein kurzes Telefongespräch führen, bei dem Gilmours Sohn dann die Kommunikation abbricht und einfach den Hörer auflegt.