Nicht oft erlebt ein Schauspieler, der schon so lange im Geschäft ist, einen zweiten Frühling. Liam Neeson begann bereits in den 70ern mit der Schauspielerei. Anfangs noch auf Theaterbühnen unterwegs, kamen in den 80ern mehr und mehr Filmrollen dazu, aber der richtig große Durchbruch kam erst 1993 mit Steven Spielbergs Holocaust-Drama SCHINDLERS LISTE. Obwohl Neeson bereits 1990 in Sam Raimis DARKMAN die Hauptrolle in einem actionlastigen Film spielte, war er nach SCHINDLERS LISTE doch erst mal auf Dramen spezialisiert. Seine Rolle als Jedi-Ritter in STAR WARS EPISODE I: THE PHANTOM MENACE änderte daran zunächst auch nicht viel. Obwohl er immer wieder in Actionfilmen mitspielte, wenn auch nicht in der Hauptrolle, wie in BATMAN BEGINS, wurde er in der Öffentlichkeit nicht als Actionstar wahrgenommen.
Das änderte sich schlagartig mit dem Erfolg des Films TAKEN (2008). Als CIA-Agent im Ruhestand räumte er gnadenlos unter den Verbrechern auf, die seine Tochter entführt hatten. Plötzlich war Neeson der einsame Actionheld, der ohne Rücksicht auf Verluste sein Ziel verfolgte. Das tat er dann nicht nur in den bisher beiden Fortsetzungen von TAKEN, sondern auch in Filmen wie NON-STOP, RUN ALL NIGHT oder UNKNOWN. Die letzten drei inszenierte Regisseur Jaume Collet-Serra, mit dem Neeson bei THE COMMUTER nun zum vierten Mal zusammenarbeitete.
Liam Neeson ist Michael MacCauley, ein ehemaliger Polizist, der nun als Versicherungsvertreter arbeitet. Er hat eine Frau und einen Sohn, das Geld reicht gerade so jeden Monat. Jeden Tag fährt er mit dem Zug zur Arbeit, immer die gleiche Strecke, hin und zurück. Er kennt alle Pendler, die jeden Tag mit ihm die gleiche Strecke fahren. Eines Tages wird er in das Büro seines Vorgesetzten gebeten, der ihm mitteilt, dass er ihn leider entlassen muss. Geschockt von diesem Ereignis traut Michael sich nicht, es seiner Frau zu erzählen, die ihn anruft. Niedergeschlagen setzt er sich in den Zug, um nach Hause zu fahren. Nach kurzer Zeit setzt sich eine geheimnisvolle Frau zu ihm. Sie betreibt zuerst Small Talk, stellt ihm dann aber eine scheinbar hypothetische Frage. Was für ein Mensch ist er? Würde er eine Sache tun, die ihn nicht betrifft, aber das Leben eines anderen Menschen beeinflusst? Er fragt sie, warum er das tun sollte und sie erzählt ihm von einem Paket, welches in der Toilette versteckt ist. Darin befinden sich 50.000 Dollar. Das ist seine Belohnung, wenn er die Person im Zug findet, die nicht dazu passt. Zunächst hält er es für einen Scherz, sieht aber in der Toilette nach und findet tatsächlich das Paket mit dem Geld. Er nimmt es an sich und hat damit unwissentlich den Auftrag bereits angenommen. Schnell muss er feststellen, dass die Leute, die hinter der Sache stehen, sehr einflussreich sind und vor nichts zurückschrecken. Nicht nur seine Familie wird bedroht, auch die anderen Passagiere im Zug schweben in Gefahr. Michael muss eine bestimmte Person finden, die etwas Wichtiges in einer Tasche bei sich trägt. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn die Zielperson steigt an einer bestimmten Station aus und wenn Michael sie bis dahin nicht identifiziert hat, stirbt seine Familie. Michael kann natürlich auf seine Fähigkeiten als Polizist zurückgreifen und geht systematisch vor. Er filtert nach und nach mehrere Personen heraus, die er noch nie in dem Zug gesehen hat. Doch wer von ihnen ist die gesuchte Person? Und was trägt sie bei sich?
Viele mögen argumentieren, dass Liam Neeson hier nur wieder eine weitere Variante seiner Rolle aus TAKEN spielt. Im Prinzip stimmt das auch, seine Rollen in diesen Filmen sind doch recht ähnlich gehalten. In THE COMMUTER ist Neeson allerdings nicht der unbesiegbare Ex-Agent, der alle Gegner mühelos zerlegt, sondern muss selbst einige Schläge einstecken. Und auch sein Alter wird in dem Film immer wieder erwähnt. Das Katz-und-Maus-Spiel ist auch durchaus spannend inszeniert, da der Zuschauer nicht mehr weiß als die Hauptfigur. Jede neue Entwicklung ist auch für den Zuschauer eine Überraschung. So fragt man sich ebenfalls lange, was genau eigentlich vor sich geht und warum die Zielperson so wichtig ist. Die Actionszenen sind wohldosiert über den Film verteilt, sind allerdings leider auch von der Stange. Während die ersten zwei Drittel des Films durchaus unterhaltsam sind, entgleist er (höhö) leider im letzten Drittel buchstäblich. Ab dem Zeitpunkt, an dem klar ist, was vor sich geht, wirft der Film alle noch halbwegs rational und realistisch gehaltenen Szenarien über Bord und rast in einen Over-the-top-Showdown, inklusive fliegendem Liam Neeson. Die Auflösung und der Twist am Ende ist dann leider recht vorhersehbar und trübt den ansonsten spannenden Film etwas.
Visuell ist der Film nun nicht gerade außergewöhnlich, weshalb es für viele wohl reichen wird, sich den Film später im Heimkino anzusehen. Die Handlung und die Ereignisse sind natürlich recht konstruiert, halten den Zuschauer aber mit dem Rätselraten bei der Stange. Die Besetzung neben Liam Neeson kann sich ebenfalls sehen lassen, Vera Farmiga, Patrick Wilson und Sam Neill geben sich die Ehre. Damit spielen Vera Farmiga und Patrick Wilson zum wiederholten Male in einem Film, beide sind das Geisterjäger-Ehepaar in den INSIDIOUS-Filmen.
Für die Musik verzichtete Collet-Serra dieses Mal wieder auf seinen Stammkomponisten John Ottman. Stattdessen durfte der Spanier Roque Baños ran, der zuletzt mit Scores wie zum Remake von EVIL DEAD und dem Thriller DON’T BREATHE seine Qualitäten für dieses Genre unter Beweis stellen konnte. Sein musikalisches Hauptthema für THE COMMUTER ist aber erstaunlicherweise recht sanft geworden und lässt den Zuschauer daher schon aufhorchen. Das verspielte Thema untermalt die Anfangssequenz sehr eindringlich und bildet einen Kontrast zu dem, was noch kommen wird. Der Rest der Musik kann da leider nicht mithalten. Man bekommt auch nicht so viel von ihr mit. Unter den lauten Actionpassagen ist sie kaum zu hören und in den Suspense-Momenten setzt sie sich leider kaum von ähnlich gelagerten Scores dieser Sparte ab.
Das Soundtrack-Album wurde digital veröffentlicht, die CD folgt im März.
THE COMMUTER reiht sich in die Gesellschaft von NON-STOP oder auch UNKNOWN gut ein. Leider sticht er dabei aber auch nicht wirklich heraus. Was bleibt, ist ein weiterer unterhaltsamer Actionthriller mit Liam Neeson, der allerdings wohl kaum in die Filmgeschichte eingehen wird. Das Zug-Szenario wurde bereits in Filmen wie UNDER SIEGE 2 ausgelotet und THE COMMUTER kann dem leider nicht viel Neues hinzufügen. Für einen spannenden Kinoabend reicht es dennoch.
Ich erwähnte anfangs den Film DARKMAN. Dabei musste ich daran denken, dass wir hier die recht seltene Gelegenheit haben, ein Remake/Reboot eines Filmes zu bekommen, bei dem einige der Hauptkreativen damals noch am Beginn ihrer Karriere standen und heute zur ersten Liga gehören. Sei es Liam Neeson, Regisseur Sam Raimi, der mit seinen drei SPIDER-MAN-Filmen den Sprung nach oben schaffte, Komponist Danny Elfman, der mittlerweile zur ersten Riege der Hollywood-Komponisten gehört oder auch Kameramann Bill Pope, der neun Jahre nach DARKMAN mit dem ersten MATRIX-Film eine neue Ära der Kameratechnik einläutete. Bevor Gerüchte entstehen: Es ist nichts in dieser Art geplant. DARKMAN war damals Sam Raimis erster großer Studiofilm, nachdem er mit seinen EVIL-DEAD-Filmen im Horrorbereich für Aufsehen sorgte. Der Film war kommerziell auch recht erfolgreich, aber die Arbeit mit dem Studio. gestaltete sich schwierig für Raimi. Dazu gehört, dass er kein Recht auf die finale Schnittfassung des Films hatte und der vom Studio Universal engagierte Cutter Bud Smith den Film nach den Vorgaben des Studios umschnitt, ohne, dass Raimi darin involviert war. Ironischerweise arbeitete Raimi dann 1992 wieder mit Bud Smith zusammen, der als Cutter für ARMY OF DARKNESS engagiert wurde. Diese kleine Anekdote aber nur am Rande. Doch wenn es ein DARKMAN-Remake geben sollte, dann wäre das eine tolle Konstellation. Liam Neeson wäre bestimmt wieder dabei, aber ob Sam Raimi darauf Lust hat?