Man kann Terry Gilliam nicht nachsagen, dass er nicht hartnäckig wäre. Trotz dem er bei so ziemlich jedem seiner Filmprojekte seit Brazil (1985) mit Problemen und Rückschlägen vor den Dreharbeiten, während der Dreharbeiten und nach den Dreharbeiten kämpfen musste, hat er doch nie aufgehört, Filme zu machen. Doch das alles wird in den Schatten gestellt von einem Projekt, welches Gilliam über ein Vierteljahrhundert lang beschäftigte.
Bereits 1989 begann Terry Gilliam mit der Arbeit an seiner Version des Ritters „von der traurigen Gestalt“. Aber alle Versuche, den Film zu finanzieren und zu drehen, schlugen fehl. Gilliam suchte daraufhin Geldgeber in Europa und tatsächlich fand er eine französische Produktionsfirma, die das Projekt stemmen wollte. So begann 1998 die Vorproduktion, mit einem Budget von knapp 32 Millionen Dollar. Das Drehbuch wurde von Gilliam im Laufe der Jahre immer wieder umgeschrieben. Bei seinem Film Fear and Loathing in Las Vegas (1998) schrieb er das Drehbuch zusammen mit Tony Grisoni, mit dem er dann auch an seinem Drehbuch zu The Man Who Killed Don Quixote arbeitete. Jean Rochefort sollte in der Titelrolle zu sehen sein und Johnny Depp spielte Sancho Panza. Im Oktober 2000 fiel die erste Klappe für den Dreh. Doch bereits vom ersten Drehtag an stand die Produktion unter keinem guten Stern. Ein heftiger Sturm verwüstete in der ersten Nacht nicht nur das Set, sondern wusch auch den Sand von den Felsen, wodurch diese rot erschienen, was nun nicht mehr zu dem Material passte, welches das Team am Tag zuvor gedreht hatte. Weitere Probleme betrafen die Versicherung des Projektes, die unzureichenden technischen Möglichkeiten der spanischen Drehorte und schließlich den Hauptdarsteller Jean Rochefort selbst, der nach einem schweren Bandscheibenvorfall nicht mehr reiten konnte und das Projekt verlassen musste. So wurde die Produktion nach nicht einmal einer Woche gestoppt. Das Scheitern der Produktion wurde in der preisgekrönten Doku Lost in La Mancha festgehalten.
Die Rechte am Drehbuch und am bereits gefilmten Material fielen daraufhin einer deutschen Versicherungsgesellschaft zu. Mit dieser stritt sich Gilliam dann einige Jahre, bis er 2006 die Rechte an seinem Drehbuch wieder erlangte. Sogleich begann Gilliam wieder mit der Vorproduktion. Als neuer Don Quijote wurde Robert Duvall verpflichtet und die Rolle von Johnny Depp sollte Ewan McGregor übernehmen. Das Budget wurde auf 20 Millionen Dollar herabgesenkt, doch die Finanzierung scheiterte wieder einmal. 2008 kontaktierte Gilliam seinen alten Monty-Python-Kollegen Michael Palin, um mit ihm die Möglichkeit zu besprechen, ob Palin die Rolle von Don Quijote übernehmen könnte.
2014 nahm Gilliam dann wieder die Vorproduktion des Filmes auf. Statt Robert Duvall sollte nun John Hurt die Hauptrolle übernehmen. Doch weitere Verzögerungen des Produktionsstarts sorgten dafür, dass Hurt die Rolle abgeben musste. Die traurige Ironie dabei ist, dass dem Film das eigentlich zugute kam, da John Hurt im Januar 2017 starb und dem Film damit kurz vor Beginn der Dreharbeiten der Hauptdarsteller gefehlt hätte. Diese begannen dann endlich im März 2017 und dauerten bis Juni. In den Hauptrollen sind nun Jonathan Pryce, der bereits in Gilliams Brazil die Hauptrolle spielte, und Adam Driver zu sehen. Das Budget beläuft sich auf knapp 16 Millionen Dollar.
Der Film beginnt mit Don Quijote und seinem Knappen Sancho Panza, die durch die spanische Wüste reiten auf der Suche nach neuen Abenteuern. Als Don Quijote die Windmühlen erblickt, hält er sie für Riesen und geht sofort zum Angriff über. Seine Lanze bleibt in einem der Windmühlenflügel stecken und reißt ihn damit vom Pferd. Plötzlich wuseln viele Leute durch die Szenerie, da es sich um die Dreharbeiten zu einem Werbespot handelt. Der zynische Regisseur Toby Grisoni (Adam Driver) zeigt sich recht desinteressiert vom ganzen Geschehen. Für ihn sind diese Werbespots nur ein Job und er hadert damit, nicht mehr wirklich kreativ tätig zu sein. Um den Kopf frei zu bekommen, fährt er mit einem Motorrad durch die Gegend und landet schließlich in einem kleinen spanischen Dorf. Dort holt ihn seine Vergangenheit ein. Vor zehn Jahren war er bereits schon einmal hier, um seinen Studentenfilm The Man Who Killed Don Quixote zu drehen. Seine falschen Versprechungen von der Traumwelt des Filmes haben viele Leben in dem kleinen Dorf zerstört, was er nun erkennen muss. Angelica (Joana Ribeiro), die unschuldige Tochter des Wirts Raul, folgte Tobys Illusion, dass sie ein Star sein könnte, wurde aber von der harten Realität des Filmgeschäfts eingeholt. Sie landete in der Model- und Escort-Service-Branche. Javier (Jonathan Pryce), ein alter Schuster, der von Toby als perfekter Don Quijote auserwählt wurde, lebt seit den Dreharbeiten in dem Wahn, dass er tatsächlich Don Quijote sei.
Als Toby und Javier wieder aufeinander treffen, erkennt Javier in ihm seinen lange verschollenen Knappen Sancho Panza. Damit beginnt eine abenteuerliche und verrückte Odysee, bei der auch für Toby recht schnell die Grenzen zwischen Wahn und Realität verschwimmen.
Man denkt, die ganze Vorgeschichte, bis zur tatsächlich stattfindenen Produktion des Filmes, sei schon genug, die Erwartungen nach oben zu schrauben. Doch auch nach Beendigung der Post-Produktion ging der Kampf für Gilliam weiter. Im Mai 2018 hatte der Film seine Weltpremiere als Abschlußfilm der Filmfestspiele in Cannés und wurde dort mit Standing Ovations gefeiert. Überschattet wurde das Ganze von einem Rechtsstreit, den Gilliam mit dem Produzenten Paulo Branco führte. Mit Branco hatte Gilliam 2016 einen Vertrag abgeschlossen, aber nachdem sich die beiden zerstritten, suchte sich Gilliam neue Geldgeber, um den Film zu machen. Im Juni entschied ein Gericht dann, dass Gilliam dies zu unrecht getan hatte und Branco wollte daraufhin den Kinostart des Filmes unterbinden lassen. Doch die Rechte am Film selbst hatte Branco nicht, weshalb er den Kinostart nicht verhindern konnte. Gilliam musste Brancos Firma lediglich eine Entschädigung zahlen. Durch den ganzen zusätzlichen Stress erlitt Gilliam sogar einen kleinen Schlaganfall, von dem er sich aber schnell wieder erholte.
Gilliam hätte also auch fast sein Leben gegeben, um diesen Film endlich zu machen. Hat es sich denn nun auch gelohnt? Diese Frage kann ich nur lauthals mit „Ja“ beantworten. The Man Who Killed Don Quixote ist der beste und unterhaltsamste Gilliam-Film seit langem. Nach dem eher drögen The Zero Theorem, dem chaotischen The Imaginarium of Doctor Parnassus (Hauptdarsteller Heath Ledger starb während der Dreharbeiten) und dem ebenfalls unter chaotischen Produktionszuständen entstandenen Brothers Grimm, ist The Man Who Killed Don Quixote zwar nicht Gilliams Rückkehr zu alter Stärke, aber eine Rückkehr zur positiven und verträumten Fantasie, die die Filme Gillams ausmachen.
Der Film lebt vom grandiosen Spiel der beiden Hauptdarsteller, die den Zuschauer in die Welt Don Quijotes mitnehmen. Dabei ist man genauso amüsiert, wie auch erstaunt, über die teils absurden Situationen, in die die beiden Helden wider Willen stolpern. Auch die Nebenrollen sind sehr gut besetzt. Einzig Olga Kurylenko (Casino Royale, 2006), „die Frau vom Boss“, bleibt etwas oberflächlich in ihrem Spiel, was aber wiederrum zu ihrer Rolle des blonden Luders passt. Die fast zweieinhalb Stunden Laufzeit vergehen wie im Fluge, nur im letzten Drittel hätte man den Film noch etwas straffen können. Gilliam zeigt eine Welt, in der uns die Fantasie noch staunen lässt, weit abseits der zynischen Abgeklärtheit der digitalen Welt. In einem Interview sagte Gilliam dazu:
„Was soll denn tragisch an Don Quijote sein? Dass er stirbt? Das ist doch der komischste Moment überhaupt! Das ist das Tolle an dem Film – er deckt eigentlich alle Aspekte des Lebens ab. Das Leben, den Tod, Freude, Trauer. Wenn ich mich überhaupt auf ein Thema dieses Films festlegen müsste, dann wäre es der Zauber des Lebens und der Fantasie. Eigentlich übersteigt der Zauber des Lebens schon die Fantasie der meisten Menschen. Die denken, dass Marvel-Filme fantasievoll wären. Das hat aber nichts mit Fantasie zu tun – das ist nur Fantasy.“
So ist der Film dann auch ein Film über Gilliam selbst. Wohl nicht zufällig hat Tobys Namen die Initialen T und G, die nicht nur Co-Autor Tony Grisoni mit einbeziehen, sondern eben auch Terry Gilliam selbst. Auch Gilliam war ein von Hollywood desillusionierter Träumer, der in dieser Maschinerie, in der es um Geld und nicht um Kunst geht, fast zermahlen wurde. So ist Don Quijote der verträumte Gilliam, der an der Realität vorbei versucht, seine Abenteuer zu bestehen, während Toby der vom Filmgeschäft gebrochene Gilliam ist, der seine Fantasie wieder entdecken muss. Es gibt im Film dann auch immer wieder augenzwinkernde Seitenhiebe auf das Filmgeschäft und die Dreharbeiten zu diesem Film im Besonderen. So ruft Toby an einer Stelle verzweifelt aus „Wer hat denn dieses Ende geschrieben?“. Sein Produzent, der im Film einfach nur „The Boss“ (Stellan Skarsgård) genannt wird, meint gegen Ende, als es anfängt zu regnen, dass dieser Regen die restliche Drehzeit verhageln würde, was sicherlich ein Hinweis auf den Regensturm während des ersten Drehversuchs im Jahr 2000 sein dürfte.
Die Filmbranche wird hier tatsächlich als hohle Geldblase gezeigt, in der wahre Künstler nicht gefragt sind und ein Film nur ein Produkt und damit Mittel zum Zweck ist. Das strahlt nicht nur „The Boss“ aus, auch die Leute, die Toby umgeben, sind von der Kunst befreite Zweckerfüller, die nur Geld verdienen wollen. Aber auch eine Parabel auf die amerikanische Außenpolitik könnte man aus dem Film herauslesen. Hier ist es der Amerikaner Toby, der in ein fremdes Land „einfällt“, die Menschen mit falschen Versprechungen ködert, nur verbrannte Erde hinterlässt und sich dann wundert, warum die Einheimischen nicht gut auf ihn zu sprechen sind. Dazu passt auch ein Spruch zu Trump, den „The Boss“ fallen lässt. Und am Ende kauft ein russischer Oligarch den übrig gebliebenen Rest auf, den „The Boss“ auf jeden Fall als Geldgeber gewinnen will, wofür er sogar das ganze Filmteam eine burleske Theatervorstellung aufführen lässt, in der Don Quijote dann auch der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Selbst Moslems, die hier natürlich für Terroristen gehalten werden, kommen vor. Diese betonen aber immer wieder in bester Monty-Python-Manier, dass sie ja eigentlich Christen sind, obwohl es offensichtlich ist, welcher Religion sie angehören.
Wahn und Realität verschwimmen nicht nur für Toby, auch der Zuschauer sieht sich irgendwann mit der Situation konfrontiert, dass er nicht mehr genau weiß, was eigentlich vor sich geht. Der Film verlässt an einem Punkt auch seine innere Logik und dürfte daher für viele Zuschauer nur noch verwirrend wirken. Aber welcher Traum folgt schon einer inneren Logik? Ich würde das mit den Filmen von David Lynch vergleichen. Auch die Ereignisse in Lynchs Filmen lassen sich nicht komplett rational erklären, da auch seine Filme einer Art Traumlogik folgen, in der die Säulen der Realität einfach verschwinden. Darauf muss man sich natürlich einlassen. Aber Gilliam hat in der Vergangenheit immer wieder betont, dass er kein Freund von Filmen ist, die alle Antworten auf dem Silbertablett präsentieren. Er will Denkanstöße geben und dass sich die Zuschauer auch nach dem Film noch darüber unterhalten. Denn nur so entstehen für ihn neue Ideen, da jeder Zuschauer eine andere Meinung davon haben wird, was die Ereignisse nun wirklich bedeuten.
Die Musik stammt von Spanier Roque Baños (Evil Dead, Don’t Breathe). Sein orchestraler Score bedient sowohl das Klischee, dass in Spanien natürlich spanische Gitarren zu hören sein müssen, bietet aber gleichzeitig ein nobles Hauptthema für Don Quijote und seine Abenteuer. Auch die ruhigen Passagen, wie die Liebesbeziehung zwischen Toby und Angelica, werden passend untermalt, ohne zu dick aufzutragen. Das Soundtrack-Album ist digital und auf CD erschienen.
Wähnte man Gilliam ob seiner letzten Filme kreativ und kommerziell schon auf dem Abstellgleis, gelingt ihm mit The Man Who Killed Don Quixote wieder ein Film voller Zauber und der Liebe für die Kunst des Filmemachens. Kommerziell dürfte der Film zwar auch kaum eine Rolle spielen, aber sollte es der letzte Film von Terry Gilliam sein, so muss er sich dafür beileibe nicht schämen. Gilliam ist ein moderner Don Quijote, der den Kampf gegen die Windmühlen des Filmgeschäfts immer wieder aufgenommen hat und das hoffentlich auch nach diesem Film weiterhin tun wird.