Den Frieden und die Liebe, die Roger Waters als die Kernbotschaft seiner Konzerte sieht, wird er mit seinem ehemaligen Pink-Floyd-Kollegen David Gilmour wohl nicht mehr erreichen. Es war hauptsächlich Gilmour, mit dem sich Waters zoffte, weil hier nicht nur zwei Egos aufeinander trafen, sondern auch zwei völlig unterschiedliche Ansichten, in welche Richtung die Band Pink Floyd gehen sollte. Im Verlauf der 1970er Jahre hatte sich Waters zum Kopf der Band gemausert. Er schrieb alle Texte und dachte sich auch die Konzepte der Alben aus. Natürlich komponierte er auch Musik, aber erst durch den Input von Gitarrist Gilmour, Schlagzeuger Nick Mason und dem mittlerweile leider verstorbenen Keyboarder Richard Wright, entstand der Pink-Floyd-Sound, der um die Welt ging. Gilmour, Mason und Wright waren nicht so fingerfertig wie Waters darin, Texte zu verfassen. Ihre Stärke lag darin, die Musik zu erschaffen, während sie sie spielten, sich der Musik hinzugeben und damit die Klangwelten zu erzeugen, für die Pink Floyd berühmt geworden sind. Insofern ergänzten sich die vier Bandmitglieder perfekt.
Doch Waters war das nicht genug. Er beklagte den mangelnden Input der anderen Bandmitglieder und hielt es damit auch nicht gerechtfertigt, dass diese seine Arbeit kritisierten, denn schliesslich hatten sie selbst nichts Besseres anzubieten, aus der Sicht von Waters. Nachdem Waters die Band dann 1985 verließ, entbrannte ein jahrelanger Streit über den Namen Pink Floyd, den Gilmour, Mason und Wright auch ohne Waters weiter nutzen wollten. Erst 2005 traten die Vier wieder gemeinsam auf, bei LIVE 8. Doch die Wunden von damals waren immer noch da. Roger gibt mittlerweile selbst zu, dass er damals ein schwieriger Mensch war und reichte vor allem Gilmour immer wieder die Hand zur Versöhnung. Doch dieser hat bis heute nicht wirklich angenommen. Jüngst beklagte sich Roger darüber, dass Gilmour es untersagt habe, dass er auf der offiziellen Homepage von Pink Floyd Werbung für seinen Film US + THEM macht. Und aus einem ebenfalls kürzlich von Waters vorgelegten Friedensplan wäre auch nichts geworden. Aber kann man es Gilmour verdenken? Roger wollte immerhin seine Karriere zerstören, wollte ihm nicht nur verbieten, den Namen Pink Floyd zu benutzen, sondern machte ihm auch sonst das Leben schwer und äußerte öffentlich immer wieder seinen Spott über diese Band, die in seinen Augen nicht mehr Pink Floyd war. Die Egomanie Rogers schimmerte auch in den ersten Bekanntmachungen seiner US + THEM Tour durch. Denn mit nichts Geringerem als „The Creative Genius Of Pink Floyd“ bewarb er sich dort selbst. Das ist wohl eine Anspielung auf den Zusatz, den David Gilmour seit 2006 für seine Solo-Aktivitäten nutzt: „The Voice And Guitar Of Pink Floyd“. Wobei man aber zugeben muss, dass das bei Gilmour tatsächlich nur eine wahrheitsgetreue Anmerkung ist und keine wertende. Denn selbst zu Rogers Zeiten sang Gilmour viele Songs auf den Floyd-Alben. Auf „Dark Side of the Moon“ beispielsweise singt Waters nur auf den letzten beiden Tracks die Lead Vocals, bei den restlichen Songs singt sie Gilmour oder teilt sie sich mit Wright.
Vielleicht hat Roger es auch immer noch nicht verkraftet, dass die Band Pink Floyd unter Gilmour erfolgreicher war als er alleine. Und selbst Gilmours Solo-Alben verkaufen sich besser als seine, was auch sein aktuelles Album „Is this the life we really want?“ betrifft. Ein Grund dafür mag sein, dass Waters tatsächlich nie so der Musik-Mensch war. Ihm waren seine Texte und seine Botschaft immer wichtiger. Deshalb war es gut, dass er Gilmour, Mason und Wright hatte, die seine Musik auf ein höheres Level heben konnten. Das fällt besonders bei Rogers Solo-Alben auf, auf denen genau dieses Element fehlt und offenbart mehr als einmal die kompositorischen Schwächen Rogers.
Ein weitaus gravierenderer Grund dürfte das politische Engagement Rogers in den letzten Jahren sein. Wobei er diese Haltung schon länger vertritt, nur eben nicht so prominent wie heute. Roger ist Anhänger der BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions), die im Grunde das Existenzrecht des Staates Israel anzweifelt. Die Bewegung kritisiert die Grenzpolitik Israels und will den Staat kulturell und wirtschaftlich isolieren, bis Israel die Besetzung allen arabischen Landes aufgibt, den Palästinensern die gleichen Rechte zugesteht und den palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum ermöglicht. Von vielen Seiten wurde die Bewegung daher als „anti-semitisch“ eingestuft, was Roger allerdings immer wieder weit von sich weist. Nicht hilfreich war es da, dass Roger 2011, bei seiner THE WALL Tour, das berühmte fliegende Schwein mit allerlei Symbolen bedeckte, die seiner Meinung nach Unrecht, Machtmissbrauch und Gier darstellten. Neben dem Mercedes-Stern, dem Shell-Logo und dem McDonald’s-Zeichen fand sich dort auch der Davidstern wieder.
Es geht Roger wohl auch darum, dass man die Juden und den Staat Israel nicht kritisieren kann, ohne gleich als Nazi oder Anti-Semit beschimpft zu werden. Zumindest stört ihn wohl diese Opferrolle, welche die Juden in seinen Augen gern exklusiv für sich beanspruchen. So heißt es beispielsweise in seinem Song „Too Much Rope“ aus seinem Solo-Album „Amused To Death“ von 1992:
You don’t have to be a Jew
To disapprove of murder
Tears burn my eyes
Muslim or Christian, Mullah or Pope
Preacher or poet who was it wrote
Give any one species too much rope
And they’ll fuck it up
Er holt hier zwar zum Rundumschlag aus, aber die ersten beiden Zeilen sind doch recht eindeutig. Und schon in der ursprünglichen Mauer 1979 ließ Roger in der Rolle des Pink im Song „In the Flesh“ alle „Schwulen, Schwarzen und Juden“ an die Mauer stellen. Wobei das dort noch mit einem Augenzwinkern versehen wurde, da es am Ende auch einen Besucher nur deshalb trifft, weil er Pickel hat. Im Grunde könnte man auch sagen: Wer sich als Pink-Floyd-Fan jetzt über Rogers Aussagen wundert, der hat vorher vielleicht nicht richtig zugehört. Ähnlich wie die, die Roger für seine politischen Aussagen während seiner Konzerte kritisieren, weil sie ja nur unterhalten werden, aber keine politische Kundgebung sehen wollten. Auch hier darf man fragen, ob diesen Leuten in den letzten 50 Jahren nicht aufgefallen ist, dass die Band Pink Floyd in Gestalt ihres Bassisten schon lange politisch gefärbte Texte hat.
Vielleicht sind diese politischen Kontroversen auch Schuld daran, dass Gilmour eher versucht, Abstand zu Roger zu halten, damit der Name Pink Floyd, den er mit Mason und Wright seit 1985 gehegt und gepflegt hat, nicht noch mehr als sowieso schon damit in Verbindung gebracht wird.
Der Name der Tour, US + THEM, bezieht sich natürlich auf den gleichnamigen Song aus dem Album „Dark Side of the Moon“. Auch dort geht es schon um eine gespaltene Gesellschaft, „Wir“ und „Die“, wobei es wohl im Auge des Betrachters liegt, in welcher Gruppe man sich befindet. Doch der Song spricht davon, dass es eigentlich kein „Wir“ und „Die“ gibt. Genau das ist auch die Botschaft von Rogers Tour. Doch so wahnsinnig viel friedliches Miteinander zeigt Roger dann auf der Bühne nicht. Es geht natürlich mal wieder um den Krieg, um Bomben, um Flüchtlinge, Trump und vieles mehr, was in Rogers Augen falsch ist. Das Konzert beginnt mit einer leicht modifizierten Version von „Speak to me“, dem Anfang des „Dark Side of the Moon“-Albums, bei dem sich unter den Herzschlag und die Stimmen Roger mischt, der die Aussagen kommentiert. Im weiteren Verlauf mischt Roger dann auch noch Titel wie „Wish you were here“ und „Money“ in die Bilderflut aus flüchtenden Menschen, weinenden Kindern und anderer Katastrophen. Aber irgendwie passt das nicht so recht zusammen. Das eher zarte „Wish you were here“ wirkt wie in ein Korsett gepresst, damit es zur neuen Aussage von Rogers Show passt. So geht es auch vielen anderen Floyd-Titeln. Und diese bestreiten auch den Hauptteil des Filmes, der exklusiv an zwei Abenden in ausgewählten Kinos gezeigt wurde. Wie schon bei ROGER WATERS THE WALL führte auch hier wieder Sean Evans Regie.
Die große Ausnahme sind „Dogs“ und „Pigs (Three Different Ones)“. Hier sehen wir nicht nur den beeindruckensten Teil der Show, wenn sich mitten im Publikum die Battersea Power Station mit ihren rauchenden Schornsteinen aufbaut und das fliegende Schwein dazwischen seine Runden dreht. Ganz wie auf dem Cover des Albums „Animals“, dessen Konzept auf George Orwells Roman „Animal Farm“ basiert, in dem die Tiere bestimmte Gruppen von Menschen symbolisieren. Auch die Inszenierung auf der Bühne, auf der die Bandmitglieder mit Hunde- und Schweinsmasken wie bei einem festlichen Empfang Champagner trinken, ist sehr atmosphärisch und passend. Bei „Pigs“ kommt dann natürlich der große Moment, in dem Donald Trump auf die Mauern des Kraftwerks projeziert wird und dort mal als Schwein und mal als Mann mit kleinem Penis gezeigt wird. Auch musikalisch war das für mich der Höhepunkt der Show, selbst wenn es bei Roger immer so ein wenig den Charme einer Pink-Floyd-Coverband hat. Vor allem Gilmour und Wright sind eben nicht einfach so zu ersetzen. Und viele Songs verlieren einfach ein Stück weit ihren Glanz, wenn nicht die Magie dieser beiden Herren mit im Spiel ist.
Überraschenderweise waren nur drei Solo-Titel von Roger zu hören, die auch gebündelt am Stück auftraten: „Déjà Vu“, „Picture That“ und „The Last Refugee“. Roger selbst war eigentlich nie ein richtiger Vorzeigemusiker, auch wenn er schon einige faszinierende, experimentelle Sachen mit seiner Bassgitarre anstellen konnte. Aber besonders in den letzten 25 Jahren ließ er sich gern von anderen Bassisten unterstützen oder gar ganz ablösen. Das gilt auch hier, ein „richtiger“ Bassist steht die ganze Zeit über mit auf der Bühne, während Roger oftmals so wirkt, als zupfe er nur ganz zaghaft hier und da mal an einer Saite.
Das Finale ist optisch ebenfalls sehr beeindruckend, wenn bei „Brain Damage“ und „Eclipse“ das berühmte Prisma mit den Regenbogenfarben per Laser quer durch die ganze Halle projeziert wird. Nach diesem optischen Augenschmaus bleibt man als Zuschauer aber etwas ratlos zurück. War ROGER WATERS THE WALL dramaturgisch noch in sich geschlossen, so wirkte US + THEM wie eine Ansammlung von Titeln, die sich an einem roten Faden entlang aufreihen, aber als großes Ganzes nicht mehr sind als ein normales Rockkonzert. Zwar unterstüzten die auf der Leinwand gezeigten Filme das Ganze, aber das Konzept mit einer riesigen, silbernen Kugel, die über die Erde schwebt und Bildern von Soldaten, die per Joystick Bomben abwerfen, bleibt seltsam vage, zumal es nach dem ersten Drittel scheinbar erst mal in Vergessenheit gerät, wenn bei Titeln wie „Welcome to the Machine“ der alte Begleitfilm aus den 70ern gezeigt wird.
Am Ende hält Roger eine kurze Rede darüber, dass alle Menschen gleich sind und ein Recht auf Leben haben, natürlich auch die palästinensischen Brüder und Schwestern. Hartnäckig ist er ja, das muss man ihm lassen.
Im anschliessend noch gezeigten, kurzen Making of, „A Fleeting Glimpse“, erleben wir Roger auch als den mit wild aufgerissenen Augen herumhampelnden Mann, der er in den letzten Jahren geworden ist. Das belegen auch seine Videos auf seiner Facebook-Seite, in denen er mittlerweile tatsächlich ein wenig wie ein alter, leicht durchgeknallter Mann rüberkommt. Wenn man sich mal Aufnahmen von ihm von Ende der 90er/Anfang der 2000er Jahre ansieht im Vergleich, dann fällt das schon sehr auf. War er damals auch in Interviews eher ruhig und besonnen, wenn er sprach, so kommt heute immer öfter eine Person hervor, die ein wenig an den Mann erinnert, der mit einer Glocke durch die Straßen läuft und immer wieder ruft „Das Ende ist nahe!“. „Ein Mann lebt nicht nur von gebrochenem Herzen allein“, wie Roger selbst im Film so schön sagt.
Die gesamte Setlist des Konzerts sieht so aus (allerdings fehlen in der Kinoversion des Films die Titel „Smell the Roses“, „Mother“ und „Comfortably Numb“, die dann sicher in der Heimkinofassung zu sehen sein werden):
Speak to Me
Breathe
One of These Days
Time
The Great Gig in the Sky
Welcome to the Machine
When We Were Young
Déjà Vu
The Last Refugee
Picture That
Wish You Were Here
The Happiest Days of Our Lives
Another Brick in the Wall (Parts II & III)
Dogs
Pigs (Three Different Ones)
Money
Us and Them
Smell the Roses
Brain Damage
Eclipse
Mother
Comfortably Numb
Für 2020 hat Roger Waters bereits neue Konzerte angekündigt, die dann allerdings mit einem neuen Konzept aufwarten sollen. Dass es wieder um Krieg und Trump gehen wird, dürfte wohl klar sein. Die Show war optisch zwar beeindruckend, musikalisch durchaus auch recht gut, aber der Funke wollte nicht so richtig überspringen. Vielleicht sollte Roger doch noch mal bei Gilmour anrufen. Doch wie gesagt, dieser dürfte etwas dagegen haben, von Roger schon wieder für dessen Zwecke vor den Karren gespannt zu werden.