Das beste Solo-Album von Ex-Pink-Floyd-Mastermind Roger Waters erhält eine Generalüberholung. Nicht nur der Klang wurde aufgefrischt, das komplette Artwork ist neu. „Amused to Death“ erschien Ende 1992 und das Thema, die Entfremdung der Menschen von der Realität durch das Fernsehen, die so weit geht, dass sogar die Kriegsberichterstattung zu einer Art Unterhaltungsshow wird, ist heute aktueller denn je.
Die Initialzündung für das Album war das Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ von Neil Postman. Im Buch spricht Postman von einer Infantilisierung der Gesellschaft durch das Fernsehen und davon, dass das Fernsehen die Meinungsbildung der Menschen stark beeinflusst und lenkt. So wird eben der Krieg im Fernsehen nur eine weitere Berieselung zwischen Gameshows und Talkshows. Diese Gedanken griff Waters auf, er geht aber noch einen Schritt weiter. Wie der Titel bereits verrät, sind wir bei Waters über das zu Tode amüsieren schon hinaus, wir haben uns bereits zu Tode amüsiert. Auch die Überwachung spielt eine Rolle, wie das Cover Design zeigt, Stichwort „Big Brother is watching you“. Eine Anspielung auf George Orwells Roman „1984“ gibt es auf der Platte ganz zum Schluss und so schliesst sich quasi der Kreis.
Waters verbindet das Alles mit seinen typischen Zutaten, kann man schon fast sagen. Der Krieg spielt hierbei wieder eine große Rolle. Roger hat seinen Vater nie kennengelernt. Dieser kam 1944 in Italien ums Leben, als die Nazis eine Brücke überrannten, die die britische Armee verteidigen sollte. Roger war zu dem Zeitpunkt erst wenige Wochen alt, der Verlust des Vaters ist auch ein zentrales Thema in Pink Floyds „The Wall“ und zieht sich seitdem durch Rogers Arbeiten.
Das originale Artwork von „Amused to Death“ zeigt auf dem Cover einen Affen, der vor einem Fernseher sitzt, aus dem ihn ein großes Auge beobachtet. Das ist im weitesten Sinne auch der Rahmen für das Album. Der Affe, also wir, sitzt vor dem Fernseher und zappt sich zufällig durch die Programme. So hört man in und zwischen den Songs immer wieder das Rauschen des Fernsehers, sowie geisterhafte Stimmen aus Werbespots, von Talkshow-Moderatoren, Nachrichtenbeiträgen und so weiter. Für die neue Veröffentlichung wurde das Cover ersetzt durch das Bild eines riesigen Flachbild-Fernsehers, der in einer Schrankwand steht und auf dem ein riesiges Auge zu sehen ist. Davor sitzt ein kleines Kind.
„Amused to Death“ beginnt mit einem Instrumentalstück, „The Ballad of Bill Hubbard“. William „Bill“ Hubbard war ein Soldat der britischen Armee, der im 1. Weltkrieg verschollen ist. Hubbard ist für Roger der „namenlose Soldat“, einer von vielen, die ihr Leben geben, ohne, dass die Welt überhaupt Notiz davon nimmt. Aber so bekommt der „namenlose Soldat“ einen Namen und ein Gesicht, wenn man so will.
Im Stück improvisiert Jeff Beck an der Gitarre seinen Part über die sphärische Musik, während man eine originale Tonaufnahme des Soldaten Alf Razzell hört, der Bill Hubbard im 1. Weltkrieg traf. Dieser erzählt davon, wie er Bill Hubbard schwer verletzt auffand und versuchte, ihm zu helfen. Durch seine Verletzungen konnte Hubbard aber nicht weit laufen und so musste Razzell ihn im „Niemandsland“ zurücklassen. Bill Hubbard tauchte nie wieder auf.
Der erste Song, „What God Wants Part I“, handelt davon, wie Krieg und die Vernichtung anderer Menschen im Namen Gottes durchgeführt und gerechtfertigt werden. Dabei maßt man sich nicht nur an zu wissen, was Gott will, sondern man wähnt Gott natürlich nur auf seiner Seite, weil man ja zu den „Guten“ gehört. Roger greift hier jede Form von religiösem Fanatismus an, da dieser in letzter Konsequenz nur zum Krieg führen kann. Der Song beginnt mit der Stimme eines Kindes, welches erzählt, dass es sich gerne den Krieg im Fernsehen ansieht, weil es spannend ist zu sehen, ob die eigene Seite gewinnt oder verliert. Harsch unterbrochen wird der Monolog von wildem Affengekreische.
Der damals gerade stattfindende Golfkrieg wird von Waters natürlich auch thematisiert. Im Song „Perfect Sense Part I“ beginnt dies erst mit Anspielungen auf Stanley Kubricks Film „2001 – A Space Odyssey“. Zu Beginn des Songs hört man auf der alten Ausgabe eine Rückwärtsnachricht von Roger an Stanley Kubrick. Diese lautet: „Julia, however, in the light and visions of the issues of Stanley, we changed our minds. We have decided to include a backward message. Stanley, for you, and for all the other book burners.“ Waters wollte eigentlich ein Soundsample des Bordcomputers HAL 9000 aus „2001“ verwenden, aber Kubrick erlaubte ihm das nicht. Nach dem Tode Kubricks baute Waters das Soundsample dann doch für die Live-Konzerte ein und auf der neuen Ausgabe des Albums ist nun auch die Stimme von HAL 9000 zu hören. Es handelt sich dabei um den Sterbemonolog von HAL 9000. HAL hat zugunsten der Mission alle Bordmitglieder getötet, nur der Astronaut Dave Bowman konnte sich retten und in HALs Zentrale vordringen, um ihn abzuschalten. Während seine Funktionen nach und nach erlöschen, beginnt HAL wie in einem Delirium zu sprechen. Diese Worte hört man nun zu Beginn von „Perfect Sense Part I“ („Stop Dave, Will you stop Dave?, Stop Dave, I’m afraid, I’m afraid, Dave, my mind is going, I can feel it, I can feel it, My mind is going, There is no question about it, I can feel it, I can feel it, I can feel it, I’m afraid…“).
Auch im Text selbst wird auf „2001“ Bezug genommen:
The monkey sat on a pile of stone
And he stared at the broken bone in his hand
Strains of a Viennese quartet rang out across the land
The monkey looked up at the stars
Der Song geht über in „Perfect Sense Part II“. Hier hören wir den amerikanischen Sportkommentator Marv Albert, der den Krieg wie ein Basketballspiel kommentiert, als ein amerikanisches Atom-U-Boot eine Ölbohrplattform angreift. Bei den Live-Konzerten hatte er etwas mehr Text als auf dem Album, dieses hat Waters nun auch für die neue Ausgabe des Albums übernommen. Zwischen Alberts Kommentaren singt ein großer Chor die „weltweite Hymne“:
Can’t you see
It all makes perfect sense
Expressed in dollars and cents
Pounds, shillings, and pence
In „The Bravery of being out of Range“ geht es um die Abstumpfung des Zuschauers, der den Krieg nur noch als abstrakte Bagatelle wahrnimmt und sich ruhig schlafen legen kann, da man ja zu weit entfernt ist, als dass einem selbst der Krieg gefährlich werden könnte. Für die neue Veröffentlichung wurden an diesem Song die größten Veränderungen im Vergleich zur alten Ausgabe vorgenommen. So ist das Schlagzeug-Intro bereits etwas anders, ausserdem wurde eine zweite Lead-Gitarre hinzugenommen und insgesamt ist der Mix ein wenig anders.
Hey bartender, over here
Two more shots
And two more beers
Sir, turn up the TV sound
The war has started on the ground
Just love those laser guided bombs
They’re really great for righting wrongs
You hit the target, win the game
From bars 3,000 miles away
3,000 miles away
We play the game
With the bravery of being out of range
In den beiden Stücken „Late Home Tonight Part I & II“ geht es um die Bombardierung von Tripolis und Bengasi 1986 aus der Sicht zweier Ehefrauen. Das US-Militär bombardierte damals die beiden lybischen Städte als Vergeltungsschlag, nachdem in einer Berliner Disco mehrere US-Soldaten bei einem Attentat lybischer Terroristen ums Leben kamen. Im zynischen Text singt Roger davon, wie die Bomberpiloten „mal eben“ ihre Bomben abwerfen und damit Menschen töten. Der erste Teil beschäftigt sich mit der „Coolness“ der Bomber-Piloten, die in ihren High-Tech-Maschinen wie in einem Videospiel ihre Ziele anvisieren.
Standing at the window
A farmer’s wife in Oxford shire
Glances at the clock; it’s nearly time for tea
She doesn’t see
The phantom in the hedgerow dip its wings
Doesn’t hear the engine sing
But in the cockpit’s techno glow
Behind the Raybans shine
The kid from Cleveland
In the comfort of routine
Scans his dials and smiles
Secure in the beauty of military life…
And in Tripoli, another ordinary wife
Stares at the dripping tap her old man hadn’t
Time to fix
Too busy mixing politics and rhythm
In the street below
Danach hört man den Bombenabwurf und die Explosion, bevor es in „Late Home Tonight II“ mit einer „heldenhaften“ Hymne, welche hauptsächlich vom National Philharmonic Orchestra gespielt wird, weitergeht. Roger singt über den Klang einer Solotrompete:
Hark, the wire service sing
Clear the satellite link
Check the fax machine
Hold the lead story boys
There’s some great pictures coming in
Now the pilot’s heartbeat slows
Palms dry out
No questions only orders
And the F-1 glides in nose-up
Through the cloudbase and the
Ground crew cheers as he puts down
His landing gear
Hey boy, you’re a hero
Take this cigar
And back home in Cleveland
All the papers and the local TV stations
Will be calling your ma
And the farmer’s wife
Shoos the cat off the chair
She says sit down my dear
Was the milking all right
Our American friends are late home tonight
„Too Much Rope“ handelt davon, dass es niemanden gibt, der die Welt besser lenken könnte. Egal, wem man die Zügel in die Hand gibt. Gleichzeitig ist es aber auch ein trauriger Song, in dem Roger selbst die Position des Zuschauers einnimmt:
And last night on TV
A Vietnam vet takes his beard and his pain
And his alienation twenty years
Back to Asia again
Sees the monsters they made
In formaldehyde floating ‚round
Meets a gook on a bike
A good little tyke
With the same soldier’s eyes
What does it mean
This tearjerking scene
Beamed into my home
That it moves me so much
Why all the fuss
It’s only two humans being
It’s only two humans being
Tears burn in my eyes
What does it mean
This tender TV
This tearjerking scene beamed into my home
And you don’t have to be a Jew
To disapprove of murder
Tears burn my eyes
Moslem or Christian, Mullah or Pope
Preacher or poet, who was it wrote
Give any one species too much rope
And they’ll fuck it up
Die Zeilen
And you don’t have to be a Jew
To disapprove of murder
zeigen Rogers Einstellung gegenüber dem seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwischen Israel und Palästina. Wie Roger in einem Interview kürzlich sagte, haben die Juden natürlich schreckliches Leid im 20. Jahrhundert erfahren. Aber sie waren eben nicht die Einzigen, die millionenfach umgekommen sind. Roger vertritt die Ansicht, dass die Angriffe Israels auf Palästina mit entsprechend vielen Toten auch in der Zivilbevölkerung eine ebenso schreckliche Handlung waren und Israel bzw die Juden eben nicht die Opferrolle „gepachtet“ haben. Das bringt Roger natürlich immer wieder harsche Kritik ein, vor allem von israelischen Fans, die ihm eine anti-semitische Haltung vorwerfen. Tatsächlich waren es einst die Briten, die durch die „erzwungene“ Teilung Palästinas in einen arabischen und einen israelischen Teil diesen noch immer schwelenden Konflikt erst möglich machten.
„What God Wants Part II“ und „Part III“ greifen die These vom Anfang des Albums wieder auf. Zusätzlich geht es im Text nun um den gleichgültigen Zuschauer, der sein Geschirr in die Küche bringt, während im Fernsehen schreckliche und traurige Dinge gezeigt werden.
Christ, it’s freezing inside
The veteran cries
The hyenas break cover
And stream through the meadow
And the vet rolls in
To his bottle of gin
So he picks up a stone
That looks like a bone
And the bullets fly
And the rivers run dry
And the fat girls sigh
And the network anchor persons lie
And the soldier’s alone
In the video zone
But the monkey’s not watching
He’s slipped out to the kitchen
To pile the dishes
And answer the phone
In „Watching TV“ geht es um die blutig niedergeschlagenen Demonstrationen auf dem Tian’anmen-Platz 1989 in Peking. Roger erfindet dafür zwar eine fiktive Person, die dort umkam, macht sie aber zum einzig positiven Aspekt der Medien, indem er davon singt, dass diese Person diejenige unter 50 Millionen Menschen ist, die uns helfen kann, frei zu sein, da sie im Fernsehen gestorben ist. Man könnte es aber auch so interpretieren, dass erst dadurch, dass diese Person im Fernsehen gestorben ist, sie zu einer wachrüttelnden Identifikationsfigur geworden ist.
Was würde man tun, wenn man drei Wünsche frei hätte? In „Three Wishes“ findet derjenige, der die Wünsche hat, schnell heraus, dass es nicht unbedingt etwas Gutes sein muss, wenn die Wünsche erfüllt werden. So wünscht er sich unter anderem, dass sein Vater nicht gestorben wäre, als er noch klein war (wieder eine Referenz an Rogers eigenes Leben), nur um festzustellen, dass er gerade erst gelernt hat, diese Person zu vermissen, nur, um sie nun wieder vor sich zu sehen.
In „It’s a Miracle“ singt Roger wieder auf seine ironisch-zynische Art davon, wie die Welt doch besser wird, wenn es nur Dinge wie einen McDonald’s in Tibet oder eine Golfanlage im Yosemite-Nationalpark gibt. Am Ende des Songs geht Waters auch hart mit Andrew Lloyd-Webber ins Gericht, dessen Musik er wegen ihrer Banalität verabscheut, da sie nur dem „Einlullen“ der Menschen dient und von den wirklichen Problemen ablenkt.
We cower in our shelters
With our hands over our ears
Lloyd-Webber’s awful stuff
Runs for years and years and years
An earthquake hits the theatre
But the operetta lingers
Then the piano lid comes down
And breaks his fucking fingers
It’s a miracle
Im Finale, dem Titelstück „Amused to Death“, landen Ausserirdische auf der Erde, die nur noch unsere Schatten vor den laufenden Fernsehgeräten vorfinden und nach einigen Tests zu der Erkenntnis kommen, dass wir uns alle zu Tode amüsiert haben. Das Lied und das Album klingen aus mit der Stimme von Alf Razzell, dem britischen Soldaten vom Anfang, dessen traurige Geschichte von Bill Hubbard nun wenigstens eine etwas positive Wendung nimmt. Er erzählt davon, dass er sich jahrelang Vorwürfe gemacht hat, weil er Hubbard im Niemandsland zurückgelassen hat. Dann wurde aber eine Gedenkstätte mit einer Tafel enthüllt, auf der auch Bill Hubbards Name steht. Dieses Ereignis war für Razzell eine Art Erlösung, da Bill Hubbard nun nicht mehr nur eine „alptraumhafte Erinnerung“ war, sondern wieder ein Mensch. Auf die Frage, wann Razzell die Gedenktafel besucht hat, antwortet dieser „When I was 87. That would be the year 1984…1984“, was auch gleichzeitig die letzten Worte auf dem Album sind, bevor das Rauschen des Fernsehers zum letzten Mal erklingt.
Beim Erscheinen 1992 ging das Album etwas unter, aber es dürfte wohl eines der stärksten Konzept-Alben der letzten 25 Jahre sein. Thematisch ist das alles hochaktuell, durch Smartphones, Tablets und andere technische Hilfsmittel hat die Entfremdung von der Realität weitere Blüten getrieben und die Medien zeichnen weiterhin ein verzerrtes Bild der Welt, bei dem die Meinung der Leute in die Richtung gelenkt wird, die am einträglichsten ist.
Die neue Auflage von „Amused to Death“ erschien als CD, als CD/DVD-Combo, als CD/Blu-ray-Combo, als Doppel-Vinyl-LP, als limitierte Doppel-Picture-Vinyl-LP und als Download. Auf der DVD/Blu-ray liegt das Album sogar in einer 5.1-Abmischung vor. Der Klang wurde insgesamt knackig aufbereitet und die weiter oben beschriebenen Veränderungen gegenüber der alten Ausgabe ergänzen das Konzept sinnvoll.
Vor allem auch musikalisch weiss „Amused to Death“ zu Überzeugen, was bei Rogers Solo-Sachen nicht immer selbstverständlich war. Dennoch kann man auch hier festhalten, dass Roger die Musik an sich nicht so wichtig ist wie der Inhalt und bei Pink Floyd eher David Gilmour und Richard Wright für die richtige Balance aus Text und Musik gesorgt haben. Trotzdem meine klare Empfehlung für das Album. Hört es, solange ihr euch noch nicht zu Tode amüsiert habt.