Erst kommt der Film, dann die Moral: MACKIE MESSER – BRECHTS 3GROSCHENFILM

Quelle: fbw-filmbewertung.com

„Ein Mann, der etwas zu sagen hat und keine Zuhörer findet, ist schlimm dran. Noch schlimmer sind Zuhörer dran, die keinen finden, der ihnen etwas zu sagen hat.“ Ähnlich scharf wie die Zähne des besungenen Hais in „Die Moritat von Mackie Messer“ waren Bertold Brechts Gedanken, die er sich nicht scheute, unverblümt seinem Gegenüber ins Gesicht zu schmettern. Als einer der einflussreichsten deutschen Dramatiker und Lyriker prägte er eine neue Form des Theaters, das epische Theater. Hierbei entfernte sich Brecht von der Darstellung tragischer Einzelschicksale und einer Scheinrealität, zugunsten großer gesellschaftlicher Konflikte wie Krieg, Revolution und sozialer Ungerechtigkeit. Sein Ziel war es, die Zuschauer aktiv zum Handeln zu bewegen, um die Gesellschaft zum Besseren zu verändern. „Das moderne Theater muß nicht danach beurteilt werden, wieweit es die Gewohnheiten des Publikums befriedigt, sondern danach, wieweit es sie verändert.“

Am 31. August 1928 wurde Brechts Dreigroschenoper – Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern in Berlin uraufgeführt. Das Theaterstück entwickelte sich schnell zum Publikumserfolg und wurde so das erfolgreichste deutsche Theaterstück vor 1933. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde es wieder aufgeführt und gilt heute als erfolgreichstes Theaterstück des 20. Jahrhunderts. Die Lieder, zu denen Kurt Weill die Musik komponierte, wie „Die Moritat von Mackie Messer“ oder auch „Die Seeräuber-Jenny“, erfreuen sich auch heute noch weltweiter Beliebtheit. Im Stück geht es um den Konkurrenzkampf zwischen zwei recht unterschiedlichen Geschäftsleuten. Auf der einen Seite haben wir Mr. Peachum, Chef der Londoner Bettelfirma Bettlers Freund, der Bettler erpresst und sie mit optional wählbaren Leiden und Kleidern ausstattet, damit sie möglichst viel Mitleid bei den Passanten erregen. Auf der anderen Seite haben wir den Verbrecher Macheath, genannt Mackie Messer, der gute Verbindungen zum Londoner Polizeichef Brown hat. Das Theaterstück basiert auf der Vorlage The Beggar’s Opera von John Gay und Johann Christoph Pepusch.

„Sie werden jetzt eine Oper hören. Weil diese Oper so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträumen, und weil sie so billig sein sollte, dass Bettler sie bezahlen können, heißt sie ‚Die Dreigroschenoper.“ Nach dem großen Erfolg des Theaterstücks dauerte es nicht lange, bis sich die Produktionsgesellschaft Nero-Film die Filmrechte am Theaterstück sicherte. Bertold Brecht wurde hinzugezogen, aber die Produzenten wollten die Oberhand behalten. Das wollte Brecht auch. Er schrieb, abweichend von der Theatervorlage, schärfere antikapitalistischere Haltungen ins Drehbuch, sehr zum Schrecken der Produzenten. Diese waren der Ansicht, das Publikum wolle so etwas nicht, das Publikum wolle nicht die Realität sehen. „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“ Das Filmexposé trägt den Titel Die Beule – Ein Dreigroschenfilm.

Brecht wurde von der Produktion ausgeschlossen. Zusammen mit Kurt Weill strebte er daraufhin eine Klage an, um die Aufführung des Films zu verbieten. Die Erfolgsaussichten waren gering, doch Brecht machte ein soziologisches Experiment daraus. Er interessierte sich schon länger für die Techniken des Filmes, da er in ihnen Ansätze verborgen sah, die man auf das Theater übertragen konnte. Der Film kam 1931 in die Kinos, führte aber, wie schon das Theaterstück zuvor, zu Protesten der Nationalsozialisten. Nach deren Machtergreifung 1933 wurden Theaterstück und Film verboten.

„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.“ Und so beginnt der neue Film bei den problematischen letzten Proben des Theaterstücks. Regisseur Erich Engel und Autor Bertold Brecht streiten sich über die Lieder im Stück. Es wird sogar der Vorschlag gemacht, die Lieder ganz wegzulassen. Nachdem es im Streit um den Schlusschoral keine Einigung gibt, verläßt Engel wütend die Produktion und Brecht übernimmt selbst die Regie. Das ist im Film wörtlich zu nehmen, denn Brechts Theater ist auch vom Durchbrechen der vierten Wand geprägt, also dem direkten Ansprechen des Publikums. Und so wendet sich Brecht auch gleich ans Publikum. Überhaupt fällt sofort auf, dass Lars Eidinger als Bertold Brecht einen völlig eigenen Sprachduktus innehat. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes der Erzähler, der den Zuschauer durch den Film begleitet. Dabei stammt jede Zeile, die aus seinem Mund kommt, von Brecht selbst. Durch seine Sprechweise hebt er sich von den anderen Schauspielern im Film ab und ist so gleichzeitig Protagonist wie Außenstehender.

Diesen fließenden Übergang schafft auch der Film immer wieder sehr elegant. So verwandelt sich ein Gespräch zwischen Brecht und den Filmproduzenten in eine Szene aus dem Film. Oder die Schauspieler halten während eines Liedes plötzlich inne und fangen eine Diskussion mit Brecht an. Das stört den Ablauf des Filmes aber keineswegs. Die Ausstattung ist sehr sehenswert, die Lieder schwungvoll in Szene gesetzt, wobei die Schauspieler auch gesanglich überzeugen und die Kamera gleitet fast schon wie auf Wolken durch die burleske Szenerie. Auch die Darsteller machen einen guten Job. Tobias Moretti gibt den Mackie Messer mit einer fast schon verführerischen Eleganz, während Joachim Król dem Kotzbrocken Peachum das nötige Quentchen Schmierigkeit verleiht. Als Gast ist Max Raabe im Film zu sehen.

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Der Soundtrack zum Film, mit den von den Schauspielern gesungenen Liedern, sowie dem Score, ist digital erschienen.

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„Wenn die Wahrheit zu schwach ist, sich zu verteidigen, muß sie zum Angriff übergehen.“ Regisseur Joachim Lang verbindet in seiner Inszenierung den literarischen Stoff mit aktuellen gesellschaftlichen Konflikten. So sieht man am Ende des Filmes die Machtergreifung der Nationalsozialisten und ihre Folgen, während man eine Original-Aufnahme von Brecht aus dem Off hört, der sein An die Nachgeborenen rezitiert.

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

In die Städte kam ich zu der Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legt ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Dabei wissen wir ja:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.

Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.

Mit Blick auf die aktuellen politischen Ereignisse wird uns vor Augen geführt, dass auch wir noch nicht soweit sind. Im Gegenteil, die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Müssen wir also nicht mit mehr Achtsamkeit agieren, damit wir nicht auch einst einen Text an die Nachgeborenen verfassen müssen, in dem wir um Nachsicht bitten?

Und so verbindet der Film schwungvolle Musical-Nummern mit gesellschaftspolitischen Themen. Etwas, was Brecht sicherlich gefallen hätte. Denn stumpfe Unterhaltung soll uns nur Ablenken von den wichtigen Themen. Das Publikum ist bereit für die Realität. Es muss diese allerdings auch als solche erkennen. Die Dreigroschenoper wird auch weiterhin weltweit die Bühnen bevölkern. „Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.“

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