Leonardo DiCaprio hat es nicht leicht. Vor fast 20 Jahren gelang ihm der Durchbruch mit „Titanic“, was für ihn zugleich Fluch und Segen war. Aufgestiegen in die A-Liga der Hollywood-Schauspieler haftete ihm noch Jahre später das Label des Schönlings und Frauenschwarms an, worauf er meist auch reduziert wurde. Dennoch kämpfte DiCaprio unnachgiebig um Anerekennung als seriöser Schauspieler, welcher er auch vor „Titanic“ schon war. Sein immer noch jugendhaftes Aussehen ist dabei meist im Weg, so kurios das auch klingt. Egal, welche Rolle er spielt, man erkennt immer wieder den Jack aus „Titanic“ in seinem Gesicht.
Fünf Mal war DiCaprio bereits für den Oscar nominiert, unter anderem für „Aviator“ und „The Wolf of Wall-Street“, bisher blieb es bei der Nominierung. Für „The Revenant“ konnte er nun seine sechste Nominierung einfahren und wenn es mit dieser Rolle nicht klappt, den Goldjungen mit nach Hause zu nehmen, dann kann DiCaprio allen nur zurufen „Was muss ich denn noch tun, damit ihr ihn mir endlich gebt?“. Aber der Reihe nach.
„The Revenant“ basiert auf realen Ereignissen, die im Roman „The Revenant: A Novel of Revenge“ von Michael Punke aus dem Jahre 2003 festgehalten sind. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts macht sich eine Expedition der Rocky Mountain Fur Company auf, um die Weiten des Wilden Westens zu bereisen auf der Jagd nach Tierpelzen. Zur Expedition gehören auch der Trapper Hugh Glass (DiCaprio) und sein Sohn Hawk, dessen Mutter eine Pawnee ist. Als die Männer gerade dabei sind, die erlegten Tiere zu häuten, werden sie von Indianern, den Arikaree, angegriffen. Unter schweren Verlusten gelingt es ihnen, auf ihr Boot zu flüchten, wobei sie den Großteil der Pelze zurücklassen müssen.
Die Indianer verfolgen die Trapper entlang des Ufers und so beschliessen die Männer, das Boot zurück zu lassen und den Weg zu Fuß fortzusetzen. Im Wald wird Glass dann von einem Grizzly-Bären angegriffen und schwer verletzt. Die Männer verarzten ihn notdürftig und bauen eine Trage. Das Gelände wird aber immer unwegsamer und so fällen sie den Entschluss, Glass nicht weiter zu transportieren, da seine Überlebenschancen sowieso sehr gering sind. Der Anführer der Expedition, Captain Henry, möchte, dass drei Männer bei Glass bleiben und ihn beerdigen, wenn er gestorben ist. Glass‘ Sohn Hawk meldet sich natürlich sofort, ausserdem bleiben der junge Jim Bridger und der zwielichtige Fitzgerald, gespielt von Tom Hardy, bei Glass. Fitzgerald geht es allerdings nur um das Geld, welches der Captain den Männern versprochen hat und so überredet er Glass, sich von ihm erlösen zu lassen. Hawk kommt allerdings dazu und nach einem Kampf mit Fitzgerald tötet dieser Hawk mit seinem Messer. Bridger bekommt davon nichts mit und glaubt, Hawk wäre den Indianern in die Hände gefallen, was ihm von Fitzgerald auch suggeriert wird. Daraufhin begräbt Fitzgerald den noch lebendigen Glass im Wald und macht sich mit Bridger auf, den Rest der Expedition einzuholen. Dem Captain erzählt er dann, dass Glass gestorben sei und sie ihn dann wie gewünscht begraben haben. Doch Glass entkommt aus seinem Grab. Von Rache getrieben kämpft er sich schwer verletzt durch die Wildnis, um Fitzgerald seiner gerechten Strafe zuzuführen.
Die Geschichte von „The Revenant“ ist also im Grunde eine simple Rache-Story. Regisseur Alejandro G. Iñárritu, der zuletzt mit „Birdman“ Aufsehen erregte, macht daraus einen spirituellen Survival-Trip. Das Ganze hat mit Tod und Wiedergeburt, sowie mit dem Urtrieb des Menschen zu tun, der sich darin kaum vom Tier unterscheidet. So ist der Kreislauf des Lebens, besser gesagt des Todes, gleich zu Beginn filmisch dargestellt. Wo gerade noch die Trapper den Tieren das Fell abzogen, wird nun den getöteten Trappern der Skalp von den Indianern vom Kopf geschnitten. Glass wird von einem Bären fast getötet. Nachdem er sich aus seinem Grab befreit, wirft er sich ein Tierfell als eine Art Mantel um und trägt auch die Krallen des Bären, der ihn fast getötet hat, bei sich. Glass wird also im Grunde selbst zu dem Tier, welches ihn beinahe getötet hat. Das äussert sich auch dadurch, dass Glass aufgrund einer Halsverletzung zunächst nur noch Grunzlaute von sich geben kann. Er durchläuft also die Evolution rückwärts und wird wieder zu dem wilden, ungezähmten Tier, welches der Mensch eigentlich ist.
Etwas später trifft er einen einsamen Indianer. Dieser ist ebenfalls unterwegs durch die rauhe Landschaft. Er versorgt die Wunden von Glass und baut ihm eine Art Höhle aus Zweigen und Fell. In dieser Höhle hat Glass dann eine Vision von einer verfallenen Kirche, in der er seinen Sohn Hawk wieder sieht. Als er wieder erwacht, schält er sich aus dem Kokon-artigen Gebilde heraus und ist wie neu geboren. Die Jesus-Metapher ist hier kaum zu übersehen, von diesem Zeitpunkt an beginnt Glass auch wieder zu sprechen. Kurz darauf entdeckt er dann den Indianer aufgehängt an einem Baum. Um seinen Hals trägt er ein Schild, auf dem steht „Wir sind alle Wilde“. Das könnte auch gut die Grundaussage des Filmes sein.
Technisch ist der Film auf höchstem Niveau gemacht. Iñárritu gelingt es, den harten Überlebenskampf in der wilden Natur dem Zuschauer plastisch näher zu bringen. Dabei hilft ihm Kameramann Emmanuel Lubetzki, dessen grandiose Landschaftsbilder dem Zuschauer die Wucht der Natur spüren lassen. Lubetzki ist aber auch immer nahe an den Darstellern, sodass man fast meint, ihren kalten Atem zu spüren. Lubetzki verwendete nur natürliches Licht, was dem Film einen zusätzlichen Realismus verleiht. Auch Lubetzki wurde für einen Oscar nominiert und bei einem Gewinn bekäme er den Oscar zum dritten Mal in Folge (nach „Gravity“ 2014 und „Birdman“ 2015).
Dennoch schrammt der Film oft haarscharf daran vorbei, seine eigene Parodie zu sein. Iñárritu lässt kein blutiges Detail aus, um dem Zuschauer die reale Wildnis näher zu bringen. Es fliesst viel Blut in Großaufnahme und auch DiCaprio stöhnt, grunzt und leidet sich gnadenlos durch den Film. Schon der Kampf mit dem Bären dauert gefühlt eine Ewigkeit und lässt den Zuschauer sehr detailliert daran teilhaben. Es ist also eine schmaler Grat zwischen Realismus und einfachem Ausschlachten blutiger Details. Dazu kommen noch Szenen, die fast 1:1 aus den Rambo-Filmen stammen (beispielsweise wenn sich DiCaprio die offene Halswunde mit angezündetem Schwarzpulver verödet oder auch der Sturz von der Klippe in einen großen Baum).
DiCaprio lässt dem Zuschauer sein Leiden spüren und die Oscar-Nominierung geht dafür auch in Ordnung. Von der Figurenzeichnung her fand ich allerdings den von Tom Hardy gespielten Fitzgerald viel interessanter. Hardy hat im Film eine unglaubliche Präsenz, wozu auch die langen Einstellungen ohne Schnitt, wie schon bei „Birdman“, beitragen. Er spielt den verschlagenen Fitzgerald mit einer unglaublichen Intensität und benötigt dafür oft nicht mehr als einen Blick. Hardy ist ebenfalls für den Oscar nominiert, als „Bester männlicher Nebendarsteller“ und ein Sieg würde mich nicht überraschen.
Die Musik stammt von dem Japaner Ryūichi Sakamoto („Little Buddha“), die in Zusammenarbeit mit Alva Noto und Bryce Dessner entstand. Große Melodien gibt es nicht, die Musik bewegt sich eher im Ambient-Bereich und ist ebenso rauh wie die Natur und archaisch wie die Figuren. Im Zusammenspiel mit den Bildern hat sie teilweise eine fast schon hypnotische Wirkung. Ein Album mit der Musik ist auf CD und digital erhältlich.
Alejandro G. Iñárritu gelang ein harter Survival -Thriller mit grandiosen Landschaftsaufnahmen, der es manchmal etwas übertreibt mit dem Leiden seines Hauptdarstellers. Fast meint man, Mel Gibson wäre auf dem Regiestuhl gesessen. Dessen „Passion of the Christ“ musste sich 2004 unter anderem auch den Vorwurf gefallen lassen, die Leiden Jesu nur des Spektakels halber so blutig und detailliert zu zeigen.
Auch der blutige Kampf mit Fitzgerald im Showdown von „The Revenant“, der einige weibliche Kinobesucher bei einigen Aktionen fast schon aufschreien liess, war mit seiner übertriebenen Intensität fast schon lächerlich, weil ich immer wieder an den blutigen und ebenso maßlos übertriebenen Kampf zwischen Freddy Krueger und Jason Vorhees in „Freddy vs Jason“ denken musste. Dennoch überwiegen für mich klar die positiven Eindrücke des Filmes. Die Inszenierung ist relativ ruhig und trägt so zum spirituellen Unterton der Geschichte bei. Die Darsteller sind durch die Bank weg sehr gut und Iñárritu war sichtlich bemüht, alles so realistisch wie möglich darzustellen. Dass es dabei ab und zu etwas ins Lächerliche kippt, sei ihm verziehen. Vielleicht ist „The Revenant“ nicht der beste Film des Jahres, aber einen Kinobesuch ist er dennoch wert.
Wie hat euch der Film gefallen? Waren die Szenen zu drastisch oder genau richtig?