M. Night Shyamalan sieht sich seit Jahren immer wieder dem Spott von Kinogängern und Kritikern ausgesetzt. Oftmals sind seine unnatürlich sprechenden Charaktere oder die Twists seiner Filme Ziel dieses Spotts. Dabei gibt es in Hollywood aber keinen anderen Filmemacher, der Filme macht wie Shyamalan. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, muss wohl jeder für sich entscheiden. An Kreativität und Unterhaltungswert mangelt es seinen Filmen aber meist nicht.
Nach einer Reihe von Flops, kommerziell und/oder künstlerisch, arbeitete sich Shyamalan wieder zurück in die Erfolgsspur. Weg von immer teurer werdenden Hollywood-Produktionen, die zu seinem Stil eigentlich auch gar nicht passen, hin zum fast schon Independent-Kino. Sein letzter großer Flop, das Will-Smith-Familienvehikel AFTER EARTH, war dann auch der Start seiner neuen Karriere. Denn mit seiner Gage für AFTER EARTH finanzierte Shyamalan THE VISIT, seinen ersten „kleinen“ Film. Unterstützt wurde er dabei von Jason Blum, der mit seiner Firma „Blumhouse Pictures“ das Feld der günstig produzierten, dafür sehr erfolgreichen Horrorfilme neu etabliert hat. Nach THE VISIT folgten noch SPLIT und GLASS, die mit ihrer Formel „niedriges Budget, großer Erfolg“ punkten konnten. Shyamalan war zurück mit Filmen, die über 100 Millionen Dollar einspielen, aber dabei seine leicht verschrobene Handschrift tragen. Dies trifft auch auf seinen neuesten Streich, den Thriller OLD zu. Der Film basiert auf der Graphic Novel „Sandburg“ von Pierre Oscar Lévy und Frederik Peeters. Doch Shyamalan veränderte einige Dinge für seinen Film und schrieb ein komplett anderes Ende.
Das Ehepaar Cappa fährt mit seinen beiden Kindern Trent und Maddox in einen idyllischen Urlaub. Vor Ort im Hotel erzählt ihnen der Hoteldirektor im Vertrauen, dass es auf der Insel eine etwas abgelegene, aber wunderschöne Bucht gibt, die man unbedingt gesehen haben muss. Nicht vielen Touristen würde er diesen Tipp geben, aber als das Paar mit dem Kindern in den vom Hotel organisierten Bus steigt, steigen auch andere Personen mit in den Bus. In der Bucht angekommen, fühlen sich die Urlauber tatsächlich wie im Paradies. Doch das ändert sich schnell, als eine Frauenleiche im Wasser auftaucht. Hat der geheimnisvolle Fremde, der bereits am Strand saß und ständig Nasenbluten hat, etwas damit zu tun?
Die Stimmung in der Gruppe wird immer angespannter, als sie erkennen müssen, dass sie von dem Strand nicht mehr weg können. Wenn sie versuchen, durch den einzigen Ausweg durch die Felsen den Strand zu verlassen, werden sie ohnmächtig und wachen am Strand wieder auf. Und nicht nur die Erwachsenen, auch die Kinder altern rapide. Es scheint kein Entkommen vor dem schnellen Tod zu geben.
Achtung, Spoiler!
Wie es sich herausstellt, ist das Hotel nur eine Fassade für eine Forschungseinrichtung. Dort werden neue Medikamente erforscht, beispielsweise gegen Epilepsie. Die Forschungen gehen viel schneller als normal voran, da die Urlauber am Strand als Versuchskaninchen dienen. Durch den rapiden Alterungsprozess können die Wirksamkeiten von Medikamenten über mehrere Jahre binnen Stunden erprobt werden. Es stellt sich heraus, dass das bereits die 74. Gruppe war, die von den Forschern dort vorsätzlich zur Bucht gebracht wurde. Trent und Maddox, die mittlerweile erwachsen sind, finden einen Weg hinaus aus der Bucht und sorgen dafür, dass die Polizei sich zur Forschungseinrichtung begibt.
Mit diesem Twist stößt Shyamalan natürlich eine aktuelle Debatte an. Im Corona-Zeitalter sind schnell benötigte und wirksame Medikamente, die auch auf lange Sicht keine Nebenwirkungen haben, der Schlüssel.
Spoiler Ende!
Doch gleichzeitig entzaubert Shyamalan mit seinem Twist auch seinen eigenen Film. Lassen die mysteriösen Vorgänge den Zuschauer immer wieder rätseln, was dort vor sich geht, macht dies Shyamalans rationale Erklärung am Ende zunichte. Und: Passt dieser Twist tatsächlich so gut zum Rest des Films? Wäre ein offenes Ende nicht viel passender gewesen? Denn nach diesem Twist kommt noch die scheinbar unvermeidliche „Bestrafung“ der „Bösen“, welche in dieser Form aber weder überraschend, noch sonderlich originell ist. Das schadet dem Gesamteindruck des Films doch leider sehr.
Natürlich gibt es hier auch die bekannten Shyamalan-Maniersimen. Die Charaktere sind teils sehr eindimensional und kommunizieren in seltsamen Dialogen miteinander. Auch dürfte es wohl kein Kind auf der Welt geben, welches in diesem Alter auch nur annährend so redet, wie die Kinder in OLD. Dazu kommen immer wieder lange Einstellungen ohne Schnitt, die spätestens seit THE VILLAGE ebenfalls in Shyamalans Repertoire gehören. Doch das alles macht auch den Charme seiner Filme aus. Es gibt in diesem Genre einfach niemand anderen, der Filme so macht wie Shyamalan.
So ist die Beklemmung auf diesem Strand unter den Charakteren schon deutlich spürbar, was eben an Shyamalans kreativer Inszenierung liegt. Das Ganze ist auch eine Parabel über das Altern und wie verschiedene Menschen damit umgehen. In die melancholischen Momente mischt Shyamalan dann immer wieder kleine Horrorspitzen, die mal gekonnt sind und mal altbacken wirken. Nur eben mit dem Twist scheint das Alles in sich zusammenzufallen.
Die Musik stammt dieses Mal von dem eher unbekannten Trevor Gureckis, der schon für die von Shyamalan produzierte Serie SERVANT komponierte. Shyamalans langjähriger Komponist, James Newton Howard, wurde wohl ebenfalls ein „Opfer“ von Shyamalans Neuanfang. Es dürfte wohl an den vergleichsweise geringen Budgets liegen, für die Shyamalan nun Filme macht, die einfach keinen Platz mehr für James Newton Howard haben. Dazu kommt noch, dass sich beide wohl bei der Arbeit an AFTER EARTH etwas auseinander gelebt haben, nachdem es Unstimmigkeiten über die Art der Musik gab. Für SPLIT und GLASS holte Shyamalan noch West Dylan Thordson, der zumindest noch Howards Musik aus UNBREAKABLE adaptierte.
Auch Trevor Gureckis hat zu Beginn einige Momente in seiner Musik, die an James Newton Howard erinnern. Das betrifft besonders die elegischen Stücke, wenn die Charaktere am Strand sind. Später wird die Musik aber kälter und elektronischer. Ein Album mit der Musik ist nur digital erschienen.
Wer spotten will, dem bietet OLD natürlich wieder reichlich Angriffsfläche. Gags wie „Bin beim Zuschauen ebenfalls um zehn Jahre gealtert“ oder, durch die Pandemie-bedingten Schliessungen der Kinos und Verschiebungen von Filmstarts, „Ich werde OLD sein, bevor das ins Kino kommt“, schreiben sich quasi von selbst. Und tatsächlich hat sich Shyamalan, ähnlich wie bei THE VILLAGE, mit seinem Twist keinen Gefallen getan. Doch während ich bei THE VILLAGE durchaus noch die tiefe Traurigkeit, die in diesem scheinbar unsinnigen Twist steckt, erkennen kann, fällt mir eine ähnliche Reaktion bei OLD doch sehr schwer. Zu sehr lässt das den Rest des Filmes in sich zusammenfallen und auch das lahme Ende ist doch sehr ungewöhnlich für den ansonsten originellen Shyamalan. Daher würde ich OLD tatsächlich eher zu seinen schwächeren Filmen zählen. Aber selbst in seinen schwächeren Filmen gibt es ja immer wieder etwas zu entdecken.